Quipu
nicht?«
|153| Da trat Sebastián auf ihn zu. Als sie sich Auge in Auge gegenüberstanden, wurde es um sie herum vollkommen still.
»Ich kann Maulhelden nicht ausstehen«, erklärte Sebastián völlig beherrscht und jede einzelne Silbe betonend. »Und einen wie dich erst recht nicht.«
Der Hieb, den Bracamoros Sebastián versetzte, hätte ihn normalerweise umgehauen. Er war ihm jedoch mit einer blitzschnellen Drehung ausgewichen. Dann verpasste er seinerseits Bracamoros einen Fausthieb mitten ins Gesicht, der diesen rücklings in seiner Hängematte landen ließ. Sebastián gönnte ihm allerdings noch keine Ruhe. Mit aller Kraft zog er an dem Netz und schaukelte Bracamoros mit Schwung hin und her. Dann ließ er los, wodurch Bracamoros aus dem Netz geschleudert wurde und in hohem Bogen gegen eine Kanone knallte.
Der Aufprall war fürchterlich. Bracamoros’ Kopf klang wie eine aufplatzende Wassermelone.
Niemand rührte sich, Montillas Leute waren erschüttert. Sebastián kehrte dem geschlagenen Gegner den Rücken. Diesmal musste er sich keinen Weg durch die Meute bahnen, die Männer traten von alleine zurück. An seinem Platz angekommen, drehte er sich zu den Expeditionsteilnehmern um und schüttelte missbilligend den Kopf.
»Was seid ihr nur für Kameraden? Wenn ihr schon so viel Spaß mit ihm habt, dann könntet ihr ihm jetzt wenigstens helfen.«
In aller Ruhe knöpfte er dann seinen Uniformrock auf, während er fieberhaft überlegte, wie er wohl am besten in die Hängematte gelangte. Nähme er zu wenig Schwung, käme er nicht hinein. Nähme er zu viel, fiele er auf der anderen Seite wieder hinaus. Jetzt, da ich mir gerade Respekt verschafft habe, darf ich mir keine Blöße geben, dachte er und zog die Stiefel aus. Er stellte zunächst nur ein Bein in die Hängematte, um dann mit dem anderen Schwung zu holen, sich dabei gleichzeitig zu drehen und die Stelle gut zu berechnen, auf die er fallen würde. Und so schaffte er es in die Hängematte hinein, wo er sich nur noch mit windenden Bewegungen zu seinem Kopfkissen vorkämpfen musste.
|154| Wenig später löschten die Männer das Licht. Nun galt es, bei dem Schnarchkonzert in den Schlaf zu finden, was in diesem stickigen Backofen schwierig werden würde. Keinerlei Durchzug, nur der bestialische Gestank von über zweihundert Männern, die man dort zusammengepfercht hatte. Die Hängematten hingen so dicht beieinander, dass man sie hätte zusammennähen können – man konnte sich das emsige Hin- und Herhüpfen der Läuse, Flöhe, Wanzen und anderen kleinen Getiers lebhaft vorstellen.
Im Halbschlaf, als Sebastián gerade versuchte, zum Knarren der Schiffsspanten einzuschlafen, fiel ihm die Chronik ein. Er musste sie unbedingt wiederhaben, um zu erfahren, wie die Geschichte weiterging, die immer noch ihre Schatten auf die Fonsecas warf. Hier auf diesem Schiff befand sich irgendwo der Mörder seines Vaters und seines Onkels. Noch konnte er nicht einschätzen, wie groß die Gefahr war, der er sich auf Deck aussetzte. Wohl aber wusste er um das Risiko eines tödlichen Messerstichs im Laderaum, eines Stoßes, der ihn in einem unachtsamen Augenblick ins Meer beförderte, eines Angriffs bei Nacht. Niemand würde ihm in einem solchen Fall zu Hilfe eilen.
Es ging in erster Linie darum, bis zur Ankunft in Panama zu überleben.
|155| Der Dreimaster
I n dieser Nacht tat er fast kein Auge zu. Kaum war er im Morgengrauen vor lauter Erschöpfung dann doch eingeschlafen, musste er auch schon wieder aufstehen. Sein erstes Bedürfnis war, den Abort aufzusuchen. Die »Gärten«, wie es an Bord hieß. Zu seinem Entsetzen sah er, dass er sich anstellen musste, da es für die Matrosen und Expeditionsteilnehmer nur vier Aborte gab; es war ihnen untersagt, die beiden für die Marineoffiziere und den Kommandanten reservierten im Heck zu benutzen.
Nachdem er sich erleichtert hatte, fragte er, wo er sich rasieren könne. Man empfahl ihm, bis Samstag zu warten, denn das sei der Tag für die Körperpflege, und er solle es auch besser dem Barbier überlassen. Der sei an das Stampfen des Schiffes gewöhnt, und für ein paar Münzen könne man sich ihm ohne allzu großes Risiko anvertrauen.
Danach gab es Frühstück. Die heiße Schokolade war nicht einmal schlecht, nur gab es zu wenige Becher, in die man den harten Zwieback hätte eintunken können. Sebastián tröstete sich mit dem Gedanken, dass er wenigstens genug Frischfleisch zu essen bekäme, gab es doch frei herumlaufende Ziegen an
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