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Quitt

Quitt

Titel: Quitt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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und eine Bibel darauf. Und er nahm die Bibel, und der Gedanke kam ihm, er wollte sein Schicksal darin lesen, und ob er den Frieden finden würde. Und nun schlug er auf, es war ein Psalm, und las: »Zähle meine Flucht, fasse meine Tränen, ohne Zweifel, du zählest sie. Was können mir die Menschen tun? Ich hoffe auf dich, du hast meine Seele vom Tode gerettet.« Er war tief ergriffen, und Tränen entstürzten seinem Auge. Dann schritt er auf das Fenster zu, öffnete beide Flügel und sah hinaus. Greifbar nah, so wenigstens erschien es ihm, zog sich das bis auf den Kamm hinauf mit Tannen und allen Arten von Nadelholz bestandene Gebirge, dazwischen aber schlängelte sich ein Weg hernieder, und wo der Weg ins Tal mündete, stand ein weißes Haus, zerfallen und ohne Dach, vordem ein Fort, das Fort O'Brien. Darüber lag der blaue Himmel, und ein heller Wolkenstreifen zog den Kamm entlang, den an dieser Stelle nur ein einziges mächtiges Felsenstück überragte.
    »Das ist der Mittagsstein.«
    Und dann sah er wieder hinaus und suchte hinauf, ob er nicht noch andere Punkte zur Vergleichung und Erinnerung fände. Zuletzt aber ruhte sein Blick immer wieder bei dem weißen Haus unten am Abhang aus, und eine Stimme rief ihm zu, daß sich seine Geschicke dort erfüllen würden.
    Aber die Stimme sagte nicht, ob zu Glück oder Unglück.
     
Einundzwanzigstes Kapitel
     
    Anderthalb Wochen waren um, und Lehnert hatte sich eingelebt. Er sah kein Regieren, und einfach ein Geist der Ordnung und Liebe sorgte dafür, daß alles nach Art eines Uhrwerks ging. Der Tag begann mit einer Andacht, die der Alte klug genug war, wenigstens als Regel, knapp und kurz einzurichten, weil er sich sagte, daß Ermüdung der Tod aller Erbauung sei. Gewöhnlich las er einen Psalm oder etwas aus der Patriarchengeschichte, wenn er nicht vorzog, an mehr oder weniger wichtige Tagesereignisse mit Spruch und Betrachtung anzuknüpfen. War dann unmittelbar nach der Andacht das Frühstück eingenommen, so gab er persönlich die Weisungen für den Tag, was er, gestützt auf eine genaue Kenntnis seines Grund und Bodens und andererseits auch mit Hilfe der ihm am Abend vorher durch Toby oder Kaulbars oder Lehnert erstatteten Rapporte, sehr wohl konnte. Begegnungen um die Mittagsstunde fielen aus, weil ein guter Imbiß entweder gleich mitgenommen oder auf die Felder hinausgeschickt wurde, was denn zur Folge hatte, daß man sich erst um sieben Uhr abends zum zweiten Male zu gemeinschaftlicher Mahlzeit versammelte, woran sich dann der Abendsegen und eine kurze Plauderei schloß. Bald danach zog man sich zurück, denn der Tag begann früh wieder. Es war kein herzlicher, aber doch ein unausgesetzt friedlicher Verkehr, in dem man lebte, was Lehnert um so mehr wundernahm, als die bunte Menschenmasse, daraus sich das Hauswesen von Nogat-Ehre zusammensetzte, nicht einmal durch das Band gemeinsamer kirchlicher Anschauungen zusammengehalten wurde. Die Kaulbarse, Vollblutmärker, hielten natürlich zu Luther, Maruschka, Polin, war katholisch und fuhr alle Jahre zweimal zur Beichte nach Denver, Totto, Litauer, glaubte, wenn überhaupt an was, höchstens an das schwarze und weiße Pferd seiner litauischen Urahnen, und L'Hermite war schlechtweg Atheist, so daß von der ganzen Obadjaschen Hausgenossenschaft, selbstverständlich mit Ausnahme der eigentlichen Familie, nur die dienenden Cherokee- und Arapahoindianer, Männer und Frauen, zur »Gemeinde« gehörten, in die sie, nach zuvor empfangenem Unterrichte, meist mit zwanzig oder vierundzwanzig Jahren einzutreten pflegten. Lehnert, wenn er das überdachte, sah sich dadurch mehr als einmal an einen nach Art eines großen Vogelbauers eingerichteten Schaukasten in San Francisco erinnert, drin nicht nur ein Hund, ein Hase, eine Maus und eine Katze samt Kanarienvogel und Uhu, sondern auch ein Storch und eine Schlange friedlich zusammen gewohnt hatten. »A happy family« stand als Aufschrift darüber, und wenn Lehnert so beim Breakfast und Supper den langen Tisch musterte, kam ihm der Schaukasten immer wieder in den Sinn, und er sprach dann wohl leise vor sich hin: »A happy family.« Sann er dann aber weiter nach, wodurch dies Wunder bewirkt werde, so fand er keine andere Erklärung als den »Hausgeist«, als Obadja, der das Friedensevangelium nicht bloß predigte, sondern in seiner Erscheinung und in seinem Tun auch verkörperte.
    Die Folge davon war ein Gefühl immer wachsender Verehrung und Dankbarkeit auf seiten Lehnerts. Aber so

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