Quitt
rasch darüber hin, und sein Käppi zurückschiebend, wie seine Gewohnheit bei jeder Ansprache war, trat er an Lehnert heran und sagte, während er nach dem linken Korridor hinüberdeutete: »Ce n'est pas mal; n'est-ce pas?« Und als Lehnert nickte, nahm er dessen Arm und sagte: »Entrez, mon cher ennemi.«
Lehnert folgte denn auch der freundlichen Aufforderung und nahm in einem Schaukelstuhle Platz, während sich L'Hermite mit übergeschlagenem Bein auf den durch eine grüne Schirmlampe nur mäßig erleuchteten Arbeitstisch setzte. Die mäßige Beleuchtung war denn auch Ursache, daß viele Stellen des Zimmers, der eigentlichen Ecken und Winkel ganz zu geschweigen, in einem Halbdunkel verblieben, gab aber immer noch Licht genug, um den umschauhaltenden Lehnert erkennen zu lassen, daß der ganze Raum ein merkwürdiges und sehr unordentliches Durcheinander von Schlosserwerkstatt und chemischem Laboratorium, von physikalischem Cabinet und Mineraliensammlung war. Das Chemische herrschte vor, im übrigen aber lief der Gesamteindruck darauf hinaus, daß es nichts auf der Welt gäbe, was hier nicht entdeckt und erfunden werden könne. Welchem Zweck das alles diente, gab zu denken, und Lehnert, der immerhin einiges von L'Hermites Vergangenheit in Erfahrung gebracht hatte, würde beim Anblick all dieser Kolben und Retorten sicherlich auf einige für Europa bestimmte Nihilistenbomben geraten haben, wenn nicht Nogat-Ehre so ganz den Stempel des Friedens getragen und Obadja selbst bei jeder sich bietenden Gelegenheit mit einer besonderen Vorliebe von Monsieur L'Hermite gesprochen hätte.
Lehnerts Verweilen an jenem ersten Besuchsabend war nur von kurzer Dauer gewesen, aber es hatte doch ausgereicht, beide zu nähern und in weiterer Folge sogar regelmäßige Reunions herbeizuführen. An jedem dritten Tage, wobei zwischen hüben und drüben gewechselt wurde, kam man zu ziemlich später Stunde zusammen und plauderte dann bis Mitternacht. Das war die Regel, die, wenn Lehnert Wirt war, strikte galt. An den L'Hermite-Abenden aber – an denen, außer einigen anderen Verpflegungsfinessen, auch ein in Galveston erstandener und mit Cognac- und Absinthflaschen reichlich ausgestatteter Rosenholzkasten eine Rolle spielte – ging ihr Geplauder gelegentlich bis über die zwölfte Stunde hinaus. Obadja wußte von diesem Rosenholzkasten und daß ihm, vor allem von L'Hermite selbst, fleißig zugesprochen würde, was er, wie sich denken läßt, mißbilligte; trotzdem ließ er es geschehen, einmal, weil ihm alles Erziehen, wenn es sich nicht von selbst machte, zuwider war, und fast mehr noch, weil er sich nicht das Recht zuschrieb, die Lebensgewohnheiten eines Mannes zu regeln, der, wenn auch ein Flüchtling, so doch immerhin ein unbeanstandeter Gast und, wie schon hier gesagt werden mag, auch eine Person von praktischer Bedeutung für Nogat-Ehre war. Und so störte denn niemand diese Zusammenkünfte, die bald beider Freunde besondere Lust und Freude wurden.
Eins nur, was übrigens die Freude nicht minderte, fiel Lehnert bei diesen abendlichen Zusammenkünften auf, und das war die Zurückhaltung, mit der L'Hermite seine »große Zeit«, seine historische Vergangenheit behandelte. Nicht als ob er Lust bezeigt hätte, sich von ihr loszusagen, durchaus nicht, er vermied nur einfach, ohne Veranlassung davon zu sprechen, und beschränkte sich, wenn diese Veranlassung eintrat, auf das unbedingt Nötigste. Der furchtbare Ernst der Szene, darin er mitgespielt, war ihm gegenwärtig, und ein feines ästhetisches Gefühl, das ihn überhaupt auszeichnete, hielt ihn ab, von einem Hergange zu sprechen, dessen Erwähnung, wenn es die Verhältnisse nicht geradezu geboten, entweder renommistisch der zynisch berühren mußte. Lehnert, als er erst klar darin sah, stimmte seinem Flurgenossen zu, bevor dieser Zeitpunkt aber da war, war er doch wochenlang von dem Verlangen erfüllt, über den interessanten Hergang Ausführlicheres zu hören, und schwankte nur, nach welchem Plane er, um seine Neugier zu befriedigen, verfahren solle. Schließlich entschied er sich dafür, auf einem Umwege vorzugehen und das Gespräch zunächst auf die langen Einschließungstage von Paris zu lenken. Es seien langweilige Tage gewesen, auch für sie draußen, und das Zerstreuliche hab erst eigentlich begonnen, als die Franzosen untereinander ins Bataillieren geraten seien, die Versailler gegen die Pariser. Da hätten er und seine Kameraden oft viele Stunden lang auf dem Höhenzuge
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