Quo Vadis
sie kein unwissendes Mädchen mehr; denn in jenen Tagen erreichte die Kenntnis des Bösen frühzeitig selbst das Ohr des Kindes. Sie wußte daher, daß ihr im Palaste Verderben drohte. Pomponia hatte sie zudem beim Scheiden davor gewarnt. Ihr jugendlicher, unschuldsvoller Sinn und ihr erhabener, von der Pflegemutter eingepflanzter Glaube hatten sie versprechen lassen, vor jenem Verderben sich zu bewahren; sie hatte es der Mutter gelobt, sich selber und auch jenem göttlichen Lehrer, an den sie nicht nur glaubte, den ihr kindliches Herz um der Sanftmut seiner Lehre, der Bitterkeit seines Todes und des Glanzes seiner Auferstehung willen auch liebengelernt hatte.
Bei dem Gedanken, daß nunmehr weder Aulus noch Pomponia für ihre Pflegetochter einstehen könnten, überlegte sie, ob es nicht besser wäre, den Gehorsam zu verweigern, indem sie dem Gelage fernbliebe. Bald gewannen Angst und Schrecken die Oberhand, bald wiederum siegte der Wunsch, mutig zu dulden und sich der Marter, dem Tode auszusetzen. Der göttliche Lehrer hatte ja so zu handeln geboten. Durch Pomponia wußte sie, daß eine solche Prüfung der heiße Wunsch der Christen sei. Sie selbst, Lygia, hatte oft, als sie noch bei Aulus war, in Augenblicken der Begeisterung den nämlichen Wunsch gehegt, wobei sie sich als Märtyrerin träumte, mit Wunden an Händen und Füßen, weiß wie Schnee, in überirdischer Schönheit, von gleich schönen Engeln in den lichten Himmel emporgetragen – eine Vision, die ihrer Phantasie sehr behagte. Es lag viel kindliche Einbildung, doch auch ein gewisses Maß von Selbstgefälligkeit darin, weshalb Pomponia solche Vorstellungen tadelte. Nun aber, wo der Ungehorsam gegen des Cäsars Willen eine fürchterliche Strafe nach sich ziehen und das geträumte Märtyrertum Wirklichkeit werden konnte, gesellte sich etwas wie furchtsame Neugier zum Gebilde der Phantasie, welche Strafe, welche Art von Qualen sie treffen würde. Ihre noch halb kindliche Seele schwankte zwischen Furcht und Erwartung. Acte jedoch, als sie dieser Unentschlossenheit innewurde, schaute sie mit solcher Verwunderung an, als ob das Mädchen im Fieber redete. Sich dem Willen Cäsars widersetzen, seinen Zorn gleich im Anfang sich zuziehen! So könnte nur ein Kind handeln, das nicht weiß, was es tut. Aus Lygias eigenen Worten ergebe sich, daß sie eigentlich keine Geisel, sondern ein Mädchen sei, das von ihrem Volke verlassen wurde. Kein Völkerrecht schütze sie, und wenn auch, der Cäsar sei mächtig genug, um das Recht in seinem Zorne mit Füßen zu treten. Es habe dem Cäsar beliebt, sie abzufordern, und nun werde er über sie verfügen. Von nun an stehe sie unter seinem Willen, über dem es auf Erden keinen höheren gebe.
„Das ist deine Lage“, fuhr Acte fort; „auch ich habe die Briefe des Paulus von Tarsus gelesen und weiß, daß über der Welt Gott lebt und sein Sohn, der vom Tode erstand; doch auf Er den gibt es bloß eine n Cäsar. Vergiß das nicht, Lygia. Ich weiß auch, daß dein Glaube dir nicht erlaubt, das zu sein, was ich war, und daß euch, wie den Stoikern – von denen Epiktetos mir erzählt hat –, wenn ihr zwischen Schande und Tod wählen müßt, nur den Tod zu wählen gestattet ist. Doch wer sagt dir, daß nur Tod, nicht auch Schande zugleich deiner wartet? Hast du nichts von Sejanus’ Tochter gehört, die auf den Befehl des Tiberius erst geschändet und dann hingerichtet wurde, aus Rücksicht auf ein Gesetz, das verbietet, Jungfrauen mit dem Tode zu bestrafen? Lygia, Lygia, reize den Cäsar nicht! Kommt der entscheidende Augenblick, wo du zwischen Schmach und Tod zu wählen hast, so wirst du nach deinem Glauben handeln; doch suche das Verderben nicht selber auf, und reize nicht aus geringfügigem Grunde die irdische und zugleich grausame Gottheit.“
Acte hatte mit großem Mitleid und selbst mit Begeisterung gesprochen und näherte nun, da sie kurzsichtig war, ihr zartes Antlitz dem Lygias, um den Eindruck ihrer Worte davon abzulesen.
Aber Lygia warf die Arme in kindlichem Vertrauen um Actes Hals und sagte:
„Wie gut du bist, Acte.“
Acte, von dieser Zutraulichkeit und dem Lobe angenehm berührt, zog sie an ihr Herz und antwortete dann, indem sie sich den Armen des Mädchens entwand:
„Mein Glück ist vorbei, meine Freude ist tot; aber ich bin nicht schlecht.“
Dann durchmaß sie raschen Schrittes das Gemach, wie in Verzweiflung mit sich selber sprechend:
„Nein! Auch er war nicht schlecht. Er hielt sich damals für gut
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