R4ge Inside
verstand sie gar nicht mehr, warum sie überhaupt so wütend geworden war. Was immer es auch gewesen war, jetzt war es verschwunden.
Mit einem Mal war sie hundemüde. Sich einen Moment hinsetzen war alles, was sie jetzt wollte.
Als Michael sie loslieÃ, gaben ihre Knie nach, doch sie fiel nicht hin. Stattdessen stützte sie sich auf einen Schreibtisch und versuchte, wieder zu Atem zu kommen.
Der Typ auf dem Boden hatte die ganze Zeit kein Wort gesagt. Als ihm klar wurde, dass Clementine ihm doch nicht den Schädel einschlagen würde, rappelte er sich auf und wich zurück, bis er mit dem Kopf gegen ein Regal stieÃ. Er schrie auf und suchte hektisch nach einer Fluchtmöglichkeit. Aber es gab keine.
»Ich bin kein Dieb!«, rief er schlieÃlich. »Ehrlich! Ich hab nichts gestohlen. Ich such nur was. Ich muss die Schlüssel finden. Es geht nur um die Schlüssel. Ich hab nichts genommen. Ihr könnt in meinen Taschen nachsehen.«
»Was für Schlüssel?« Michael hatte den Baseballschläger direkt auf den Oberkörper des Fremden gerichtet.
Der Typ schluckte, sein Adamsapfel hüpfte nervös auf und ab. »Zum Chemielabor. Ich suche nach den Schlüsseln zum Labor.«
»Warum?«
Die Frage schien ihn aus dem Konzept zu bringen. Er zog eine Augenbraue hoch, während er überlegte. »Ich hab Chemie als Hauptfach. Ich gehöre hierher.«
Michael konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.
»Hört zu«, sagte der Typ, als er ganz langsam auf sie zukam. »Ich bin keiner von denen. Hetzer, stimmtâs? Ich hab das Wort schon mal gehört. Das scheint als Name für sie hängen geblieben zu sein. Jedenfalls bin ich harmlos, wie ihr sicher schon festgestellt habt. Chemiestudenten laufen in der Regel nicht mit einer Waffe rum. Ich bekomm nicht mal zehn Liegestütze hin.«
Michael nickte und lieà den Schläger sinken. »Ja, du bist normal.« Er sah Clementine an, die ihm zaghaft zulächelte.
»Danke.« Der Typ wurde ruhiger, hielt aber immer noch Abstand. »Jedenfalls suche ich nach den Schlüsseln. Seht ihr den Toten da?« Er wies auf einen älteren Asiaten, der mit dem Gesicht nach unten in einer Blutlache lag. »Das ist Professor Harvey Yuen. Brillanter Mann. Jetzt wohl nicht mehr. Er ist Dekan der Fakultät für Chemie und ich hatte gehofft, dass ich bei ihm etwas finde. Vor zwei Tagen, als er noch lebte, hatte er die Schlüssel in der Hosentasche. Aber er wollte uns nicht in die Nähe des Labors lassen. Er hat gesagt, das sei zu gefährlich. Die Frau neben ihm, das hübsche Mädchen, Carol, sie ist ⦠ich meine, sie war seine Assistentin. Bis gestern haben wir uns alle zusammen versteckt.«
»Was ist passiert?«, fragte Clementine.
»Keine Ahnung. Als ich aufgewacht bin, waren sie weg. Keine Nachricht. Nichts. Ich bin davon ausgegangen, dass sie nach Lebensmitteln suchen. Unsere Vorräte waren schon fast aufgebraucht. Warum sie mich oder die anderen nicht geweckt haben, ist mir schleierhaft. Ich wäre mitgekommen. Dann würde ich jetzt auch hier liegen, so wie sie.«
»Das tut mir leid«, sagte Clementine.
»Davon werden sie auch nicht wieder lebendig«, erwiderte der Typ. »Ich habe sie nicht bestohlen. So was würde ich nicht tun. Nie.«
Von der anderen Seite des Raums drang ein lauter Knall zu ihnen herüber. Sofort griff Michael nach der Kerosinlampe. Die Flamme flackerte noch einmal kurz, dann erlosch sie. Sie waren von völliger Dunkelheit umgeben.
Clementine klopfte das Herz bis zum Hals. Sie tastete blindlings auf dem FuÃboden herum, bis sie ihren Baseballschläger gefunden hatte. Michaels Hand fand ihre Schulter und packte sie.
Ein lautes Krachen, dann splitterte Glas. Jemand hatte das Fenster zu einem der Arbeitsräume eingeschlagen. Eine Stimme kreischte, gleich darauf eine zweite.
Ein kurzes Lachen.
»Sind sie es?«, flüsterte sie.
»Wir müssen hier raus. Und zwar schnell«, sagte Michael leise.
»Folgt mir«, raunte der Chemiestudent. »Ich weiÃ, wie wir hier rauskommen.«
Clementine fand Michaels Hand in der Dunkelheit und schob ihre Finger hinein. Er drückte kurz zu. Sie waren sich einig.
»Dann los«, sagte Michael.
ARIES
Kurz vor Einbruch der Dämmerung waren sie wieder am Haus. Mason sagte nichts. Er nahm den Helm ab und lieà ihn auf den Boden fallen. Er lief schon los, als sie noch
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