R4ge Inside
hatte ihren Speer nicht mehr! Clementine durchsuchte ihre Taschen und zog die halb leere Spraydose mit Farbe heraus, die sie vorhin vor der Bibliothek gefunden hatte. Als Waffe konnte sie sie nicht gebrauchen, aber sie war immer noch besser als gar nichts. Die Dose war ziemlich schwer; sie in der Hand zu spüren verlieh ihr ein Gefühl von Sicherheit. Sie lief den Weg entlang und wurde schneller, als die Krämpfe in ihrem Magen nachlieÃen.
Sie sollte zurückgehen. Mehr als alles andere in der Welt wollte sie zurück. Clementine musste daran denken, wie hilflos sie sich gefühlt hatte â damals, als ihre Mutter sie am Arm gepackt und zum Ausgang der Gemeindehalle gestoÃen hatte, damit sie entkommen konnte. Ihre Mom, die diese verrückte Begabung gehabt und immer schon vorher gewusst hatte, wenn etwas Schlimmes passieren würde. Auch dieses Mal hatte sie recht gehabt. Wie lange war es her, dass sie an ihre Mom gedacht hatte? Es kam ihr wie eine Million Jahre vor. Damals war sie so jung gewesen. Aber in Wirklichkeit waren seit den Erdbeben gerade einmal drei Monate vergangen.
Es war am besten, nicht über die Vergangenheit nachzudenken. Das hatte sie von Michael gelernt. Sie konnte es ihm ansehen, wenn er die düsteren Gedanken verdrängte, die seine braunen Augen noch dunkler werden lieÃen. Er dachte, es würde ihr nicht auffallen. Tat es aber doch. Er musste Furchtbares durchgemacht haben.
Die Böschung war steil und in der Dunkelheit kam sie nur mühsam voran, aber es gelang ihr, sich bis zum Wasser vorzuarbeiten. Ein paarmal musste sie sich verstecken, als die Hetzer ihr zu nah kamen. Einmal war sie sicher, Michaels Stimme zu hören, die nach ihr rief, doch sie wagte nicht zu antworten. Nicht, wenn so viele Bestien in der Nähe waren.
Am Ufer waren einige Boote an Bäumen festgebunden. Die meisten davon waren Kanus, doch sie konnte auch einige Kajaks erkennen. In den Booten lagen Proviant und andere Vorräte, die mit einer Plane abgedeckt waren.
AuÃer ihr war niemand dort. Sie wusste nicht, wie viele Boote es ursprünglich gewesen waren. War es vielleicht schon einigen anderen gelungen, über das Meer zu entkommen?
Clementine setzte sich auf einen der Felsen und wartete. Hier unten am Wasser war es kalt. Zitternd hob sie die Hände vors Gesicht und versuchte, sie mit ihrem Atem zu wärmen. Sie musste nicht lange warten. Plötzlich hörte sie das Knacken von Zweigen und sprang auf, die Spraydose vor sich in die Höhe gereckt. Als ihr klar wurde, dass die Düse in ihre Richtung zeigte, drehte sie die Dose schnell herum. Doch da war schon jemand zwischen den Bäumen hervorgeprescht.
Sie schrie auf. Jemand packte ihren Arm. Sie kreischte noch lauter und versuchte zurückzuweichen, lieà die Spraydose aber nicht los.
»Clementine! Ich binâs.«
Michael.
Sie schlang die Arme um seinen Hals und zog ihn an sich. Die Wärme seines Körpers beruhigte sie, tröstete sie, gab ihr das Gefühl, dass alles wieder gut werden würde.
Als sie ihn loslieÃ, bemerkte sie, dass sie nicht allein waren. Hinter ihnen standen nicht nur Raj, der über beide Ohren grinste, sondern noch einige andere. Larisa war eine davon. AuÃerdem ein mürrisch aussehender Junge, dessen Augen vor Wut blitzten. Und zwei weitere Mädchen, die sie nicht kannte. Eines davon blutete heftig an der Schulter.
»Lasst euch ruhig Zeit«, meinte Raj trocken. »Wir haben etwa drei Minuten.«
Clementine spürte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss. Sie richtete ihre Aufmerksamkeit auf das verwundete Mädchen, das sich an einen Baum lehnte. Die Freundin des Mädchens hatte ihre Jacke ausgezogen und presste sie auf die Schulterwunde. Der Stoff färbte sich alarmierend schnell rot.
»Wir müssen dafür sorgen, dass sie Hilfe bekommt«, meinte Clementine. »Wer ist sonst noch verletzt?«
Larisa hatte eine Schnittwunde auf der Stirn, die aber nicht weiter schlimm war. AuÃerdem hinkte sie stark. In ihrem Schuh hatte sich Blut gesammelt und jedes Mal, wenn sie sich bewegte, hörte man ein sonderbar schmatzendes Geräusch. Raj war schon dabei, die Kanus loszubinden und startklar zu machen. Ãber das Meer war der schnellste Weg, von hier wegzukommen.
»Wenn wir es bis zu uns schaffen, wird sie es schon überleben«, sagte Clementine zu Raj, während sie ihm half, die Paddel aus ihrem Versteck in den Büschen zu
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