Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Raban, der Held

Raban, der Held

Titel: Raban, der Held Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Masannek
Vom Netzwerk:
trug plötzlich einen Anzug wie Willi. Verstehst du? Vanessa, deshalb war es mein Geist!“
    Ich schaute sie erwartungsvoll an. Wenn Vanessa mir glauben würde, glaubten mir alle. Sie kaute auf ihrer Unterlippe, suchte den Blick von Leon, Marlon und Fabi, und sagte dann leise, aber bestimmt.
    „Ich glaube, ich muss ganz schnell von hier weg!“
    Damit fuhr sie los, direkt auf mich zu, und im letzten Augenblick sprang ich zur Seite. Die anderen folgten im Pulk, nein, sie flohen buchstäblich, und als sie sich außer Hörweite glaubten, lachten sie los. Sie fielen fast von den Rädern, so lachten sie, und das, was sie so amüsierte, wehte in Fetzen zu mir her.
    „Heiliger Muckefuck! Habt ihr das gerade gehört!“
    „Bei Raban zu Hause im Kleiderschrank, da spukt’s!“
    „Oh, Mann, sag mir bitte, dass das ein Scherz ist!“
    „Ein Scherz? Der Kerl trägt ’nen Spiderman-Schlafanzug! Der meint das ernst.“
    „Kreuzkümmel und Hühnerkacke! Ich muss nach Hause. Ich hol mir ’nen Batman-Umhang und setz mich damit vor die Waschmaschine.“
    „Da komm ich mit. Vielleicht watscheln ja Vampire aus ihr heraus!“
    Dann war es still. Entweder war ich vor Scham und Gram taub geworden, oder sie waren weit genug weg. Langsam setzte ich mich in Bewegung. Nach dem letzten Crash mit dem Obsthändler hatte ich Fahrradverbot. Deshalb ging ich zu Fuß. Die Stille war eisig, doch um mich herum schmolz der Schnee. Bis zu den Knöcheln versanken meine Füße im Matsch, und umso mehr war ich überrascht, als ich zu Hause, in der Rosenkavaliersgasse Nr.6, Willis Einladung fand.

Schwarz mit blutroten Klecksen
    Der Brief lag auf dem Tisch neben der Post für meine Mutter. Sie hatte ihn extra gegen eine Vase gestellt. Das machte sie sonst nie. Solche Briefe nahm sie gar nicht erst ernst.
    Besonders solche, die pechschwarz waren.
    Pechschwarz mit dem Wilde Kerle -Logo darauf.

    Willi hatte es selber gemalt und dem Monsterkopf dabei eine knallrote Weihnachtsmann-Mütze verpasst. Der Hauch eines Lächelns flutschte aus meinen Augen heraus und kitzelte meinen Mund. Ich riss den Briefumschlag auf und fand ein schwarzes, zusammengefaltetes Papier darin. Das klappte ich auf, und dort stand in einer roten Gruselgeisterhandschrift mit vielen roten Klecksen wie Blutstropfen drumherum: Der Hauch des Lächelns verschwand wie das Rascheln der Gräser im Wind. Mein Gesicht erstarrte zu einer grimmigen Maske.

    Sie waren bei Willi gewesen. Sie hatten ihm alles erzählt. Vom Spiegelgeist und vom Spiderman-Schlafanzug. Sie hatten sich mit ihm zusammen über mich totgelacht, und jetzt nahm mich Willi auch noch auf den Arm. Das lag so klar auf der Hand wie beidseitig benutztes Klopapier:
    Die Schrift. Die rote Tinte und die Kleckse wie Blutstropfen um sie herum. Das ,Uaah’ am Ende und dann die Einladung selbst. Wie und wo sollte man heute noch rodeln? Der Schnee war geschmolzen und überall gab es nur Matsch.
    Ich wurde wütend. Das Gefühl kam ganz tief aus mir heraus. Es war eine leise, aber gewaltige Wut, und mit ihrer Hilfe wollte ich mein Wilde Kerle -Leben für immer beenden. Langsam nahm ich das schwarze Papier mit der roten Gruselgeisterhandschrift zwischen die Finger und wollte es gerade ganz genüsslich zerreißen, da erschien meine Mutter über mir auf der Galerie.
    „Du kannst das Fahrrad nehmen!“, sagte sie streng.
    „Wie bitte? Ich habe doch Fahrradverbot!“, stammelte ich, doch meine Mutter schien sich daran nicht zu erinnern.
    „Du kannst dein Fahrrad nehmen, hab ich gesagt. Oder sprech ich vielleicht Chinesisch.“
    „Aber ich bin schon verabredet. Cynthia, Marie-Claire-Beatrice und Hannelörchen kommen vorbei. Sie wollen mir den Spitzentanz zeigen.“
    „Ich weiß, und ich hab ihnen abgesagt!“ Mit diesem Satz riss meine Mutter den letzten Grashalm aus, an den ich mich klammerte, um einer neuen Blamage zu entgehen. Die Wilden Kerle und Willi warteten doch nur darauf, dass ich der Einladung folgte. Sie würden auf der Hügelkuppe stehen und sich totlachen, wenn ich mit meinem Schlitten erschien. Ich sah es vor mir, als wäre es schon passiert:
    „Hey, Raban! Das ist ja echt wild, dass du kommst!“, begrüßten sie mich. „Jetzt zeig uns doch mal, was für ein Rodelkönig du bist.“
    Ja, und das tat ich in meiner Fantasie dann auch: Ich warf meine Plastikrodelschüssel auf den Boden, hockte mich drauf und schlitterte den Hügel hinab. Doch das war ein Witz. Der Schnee war geschmolzen, und schon nach ein paar Metern

Weitere Kostenlose Bücher