Rabenblut drängt (German Edition)
Jeans und ein verwaschenes Sweatshirt.
»Vom Nachbarjungen«, erklärte Katharina. Jaro verdrehte die Augen.
»Satt?«
Jetzt grinste er. Anscheinend waren Pfannkuchen auch mit fünfzehn nicht ganz so schlecht.
»Möchtest du mit zur Probe in die Philharmonie kommen?«, fragte ich ihn.
»Klar!«
»Wird das nicht ein bisschen spät für ihn? Die Probe geht heute bestimmt bis in die Nacht«, gab Katharina zu bedenken.
»Ich denke, er schafft das.«
Wir machten uns zu Fuß auf den Weg. Jaro schien ganz in Gedanken versunken.
»Du siehst irgendwie schwer gealtert aus«, wollte ich ihn aufmuntern. Aber er lächelte nicht.
»Mach dir nicht so viele Sorgen um Sergius. Die Jungs werden sich schon um ihn kümmern.« Diese Worte sollten mich selbst beruhigen. »Oder ist es der Anblick, der dir nicht mehr aus dem Kopf geht? Ich weiß, es ist nicht schön zu sehen, wie zwei Raben sich bis aufs Blut bekämpfen.«
»Das war total widerlich«, stimmte er mir zu. »Hast du jemals, ich meine damals, als es den Schwarm noch nicht gab, hast du da auch so kämpfen müssen? Hast du schon mal jemanden im Kampf getötet?«
»Es gab Kämpfe, in die ich verwickelt wurde, aber ich konnte mich jedes Mal rechtzeitig zurückziehen. In ein paar Situationen geriet ich, weil ich unwissend war. Ich kannte die Regeln nicht, und ich hatte niemanden, der sie mir hätte erklären können.«
»Wie lange warst du allein?«
»Etwa ein Jahr. Dann habe ich mich einer großen Gruppe angeschlossen. Es waren an die hundert Tiere, und ich habe eine Menge von ihnen gelernt.«
»Aber das waren normale Raben, oder?«
»Ja. Ich war der Exot. Wir konnten uns gut verständigen, aber ich machte wahrscheinlich die falschen Gesten, wenn du verstehst, was ich meine.«
»War das nicht superätzend für dich? Warst du nicht total einsam?«
»Manchmal, aber ich hatte genug Gedanken zu verarbeiten, die hätten wahrscheinlich auch für länger gereicht. Es war vergleichbar mit einer Exerzitienreise oder einem Jakobsweg.«
»Ich versteh schon. Also wie eine Suche nach dem Sinn deines Lebens?«
»So in etwa.« Ich warf ihm einen Blick von der Seite zu. »Sind das die Gedanken, die du dir zurzeit machst? Über den Sinn deines Lebens?«
»Klar. Was denkst du denn?« Er kaute auf seiner Unterlippe. »Bist du eigentlich immer hier geblieben, hier zuhause?«
Ich lachte laut heraus, sodass Nikolaus, der uns vorausging, sich fragend zu uns umdrehte.
»Ist das eine ernstgemeinte Frage? Wenn du entdeckst, dass du fliegen kannst, und noch dazu gezwungen bist, alle Brücken hinter dir abzubrechen, würdest du dann hier bleiben?«
Jaros Blick erhellte sich, als eröffneten sich ihm ganz neue Perspektiven. »Daran habe ich ja noch gar nicht gedacht!«
»Dann denk mal darüber nach. Wer hat schon die Möglichkeit seinen Horizont so sehr zu erweitern, frage ich dich. Ich habe es jedenfalls ausgiebig genossen und bin viel herumgekommen.«
Jetzt war es an ihm, zu grinsen. »Wann hast du den ersten gefunden, der wie du selbst eben kein normaler Rabe war?«
»Da war ich schon etwa ein Jahr in meinem alten Schwarm. Mir fiel auf, dass ein Neuankömmling sich genauso dämlich verhielt wie ich am Anfang.«
»Wer war das?«
»András. Er kam aus Ungarn. Nur wenig später folgte ihm Ferenc.«
Jaro nickte. »Wie wird es denn jetzt weitergehen?«
»Ich habe keinen blassen Schimmer«, gestand ich ihm.
»Was?« Er schien ehrlich entsetzt.
»Warum vermutet eigentlich jeder, ich wüsste genau, in welche Richtung es weitergeht? Steht etwas auf meiner Stirn, von dem ich nichts weiß?«
»So was wie Leader , oder so?« Er kicherte. »Mann, ich dachte du hast voll die Peilung und jetzt sagst du mir, du kennst den Weg nicht?«
»In der Tat. Schockiert dich das?«
»Also ich weiß nicht. Ich dachte irgendwie, dass du mir sagen kannst, wo’s langgeht.«
»Da muss ich dich enttäuschen. Das musst du schon selbst für dich herausfinden. Und wenn du es weißt, dann halte den Gedanken gut fest! Weil es nämlich sein kann, dass er sich plötzlich in Luft auflöst. Dass sich in einer Sekunde einfach alles ändert. Halte ihn gut fest!«, riet ich ihm.
Blutkleid
W ieso hatte Lara mir nicht viel früher von diesem Konzert erzählt? In weniger als drei Stunden wollten wir in Prag sein und ich hatte nichts, aber auch gar nichts, Brauchbares zum Anziehen. Ich konnte doch unmöglich in Jeans und Sweatshirt zu einem Weihnachtskonzert gehen!
Sakra!
Timo war damit
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