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Rabenblut drängt (German Edition)

Rabenblut drängt (German Edition)

Titel: Rabenblut drängt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikola Hotel
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einfach. Alle hatten sich fein herausgeputzt und ich kannte Nikolaus nur in Rockerkluft.
    Enttäuscht wollte ich mich schon zurücklehnen, da sah ich am Bühnenrand, halb verdeckt hinter dem Vorhang, eine dunkle Gestalt, deren Silhouette meinen Herzschlag abrupt aussetzen ließ. Ich krallte mich mit den Fingernägeln an der Brüstung fest. Ein hochgewachsener Mann trat zu dieser Gestalt und sprach ein paar kurze Worte mit ihr, bevor er unter lautem Applaus die Bühne betrat. Es war der Dirigent, der mit einer dankbaren Verbeugung seinen Platz einnahm.
    Alexej?
    Die Silhouette des Unbekannten verschwand hinter dem Vorhang.
    »Setz dich hin«, befahl Timo ungeduldig.
    »Was ist denn los?«, flüsterte Lara und zerrte mich zurück auf meinen Platz.
    Auf diese Frage konnte ich ihr keine Antwort geben. Ich wusste nur absolut sicher:
    Ich hatte Alexej gesehen.

Missgeburt
     
     
     
    K annst du mir sagen, wo du so lange gewesen bist? Ich krieg die Krise!« Nikolaus zog mich in das Zimmer.
    »Ich war in der Kirche. Falls es dir nicht aufgefallen ist, wir haben Weihnachten«, informierte ich ihn.
    »Du kannst doch jetzt nicht in die Kirche gehen! Mein Gott, das Konzert fängt in einer halben Stunde an!«
    Ich lächelte milde. »Ich war nur eine Viertelstunde fort, Niki. Was macht dich so nervös? Die Probe ist doch großartig verlaufen.«
    »Aber wir müssen jeden Moment zum Einstimmen nach draußen.«
    »Sicher, aber ich doch nicht. Das würde mir euer Pianist auch sehr übel nehmen, wenn ich jetzt anfinge, den Flügel zu stimmen«, sagte ich lachend. »Nebenbei bemerkt, er ist überwältigend. Ich habe vorher noch nie zuvor auf einem Fazioli gespielt. Der Klang ist atemberaubend.«  
    Nikolaus brummte vor sich hin.
    »Musst du nicht wenigstens noch deine Hände baden, oder sonst irgendwas?«
    »Natürlich nicht.« Ich schmunzelte und Nikolaus wandte sich von mir ab, um nervös eine Runde durch das Zimmer zu drehen. Die anderen Musiker saßen faul herum, tranken etwas, oder warfen noch einmal einen Blick auf ihre Probennotizen. Sie redeten und lachten leise.
    Niki sah aus, als wäre ihm überhaupt nicht nach Lachen zumute. Seine Stirn glänzte schweißnass, und immer wieder rieb er sich die feuchten Hände an einem Stofftaschentuch ab.
    »Was murmelst du da eigentlich die ganze Zeit?«, fragte ich.
    »Ich murmel nicht, ich zähle.«
    »Du zählst? Einfach nur Zahlen, oder wie?«
    »Nnja«, presste er hervor.
    Eine Durchsage forderte die Streicher auf, die Bühne zu betreten. Nikolaus tastete ein letztes Mal kontrollierend nach seinem Hosenschlitz und ließ sich von den anderen mit nach draußen ziehen.
    Ich ging den langen Weg bis zur Bühne und sprach kurz mit dem Dirigenten. Dabei konnte ich einen Blick auf das Publikum werfen: Der Saal war gut gefüllt. Nur in der ersten Reihe gab es noch ein paar leere Plätze. Irgendwo dort draußen musste der General sitzen, wahrscheinlich auf dem Balkon; aus einem mir unerfindlichem Grund bevorzugte sie diesen Platz. Da Nikolaus mich vorgewarnt hatte, würde mich ihr Auftauchen nicht irritieren. Dennoch beschlich mich das seltsame Gefühl, dass dieser Abend mehr bringen würde, als ich mir davon erwartete.
    Ich warf einen suchenden Blick in den Saal. Es war mir, als versuchte jemand Blickkontakt mit mir herzustellen, als flüsterte eine unhörbare Stimme meinen Namen. Ein Prickeln durchzog meine Eingeweide. War das nun jenes Lampenfieber, das Niki so gerne an mir gesehen hätte?
    Ich vermied es an Isabeau zu denken und daran, dass Sergius in ihrer unmittelbaren Umgebung war, noch dazu in äußerst unberechenbarer Stimmung. Und ich dachte nicht eine Sekunde an Nathalie.
    Ich zog mich in den Aufenthaltsraum zurück und versuchte, mich zu entspannen. Gerade wurde vom ersten Oboisten der Ton angegeben, es folgte ein wirres Durcheinander verschiedenster Instrumente. Dann kehrte Ruhe ein. Der Abend wurde mit dem zweiten Klavierkonzert eröffnet. Die Streicher begannen und Nikolaus würde es jetzt sicher besser gehen.
    Mein Auftritt würde nach dem dritten Satz noch vor der Pause sein, also blieben mir noch knapp dreißig Minuten, den Applaus nicht mitgerechnet. Ich genoss das Spiel des Pianisten und schloss die Augen. Nach dem Ende des ersten Satzes rauschte der Applaus durch die Übertragungsanlage.
    Jetzt das Larghetto.
    Gab es in der Musik ein Stück, das mehr Gefühl und Poesie ausdrücken konnte?
    Für mich war es der Höhepunkt des Konzerts. Der ganze Satz ein einziger

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