Rabenblut drängt (German Edition)
war mir sterbenselend zumute.
Das nächste Stück, das er spielte, ließ mir das Blut heiß in den Kopf steigen, so dramatisch und mitreißend war es. Und als er die letzten Takte voller Kraft anschlug, hielt jeder im Saal den Atem an.
Dann brach tosender Applaus los.
»Ich muss hier raus«, würgte ich hervor und drängte mich an den anderen Zuschauern vorbei auf den Gang. Dort lehnte ich mich kraftlos gegen die Wand und fühlte mich einfach furchtbar dumm.
Ich hatte mich verrannt.
Ich hatte mich in einen Mann verliebt, den ich gar nicht kannte. Ich hatte mich in ihn verliebt, weil er die Natur liebte, genau wie ich, und weil er Dinge wahrnahm, die mir verborgen blieben, weil seine Wahrnehmung so sinnlich war. Ich wusste, dass in ihm viel mehr war, als seine beherrschte Art mir offenbaren wollte, dass er Gefühle in sich trug, die nur darauf warteten, erlebt zu werden.
Hinter meinen Augäpfeln brannte es. Die Superblondine hatte Recht - ich war ein dämlicher Bauerntrampel!
Lara kam lachend aus der Tür heraus, gefolgt von meinem Bruder.
»Wenn ich das Marek erzähle, bricht er mir auf seinem Schreibtisch bewusstlos zusammen.«
Ich schloss die Augen.
»Willst du es gar nicht wissen?«, fragte Lara lachend.
»Sag schon, vielleicht kann ich dann mitlachen«, kam es leise aus mir heraus.
»Alles in Ordnung mit dir? Du bist ja ganz käsig im Gesicht.« Sie holte tief Luft. »Alexej ist ein Mitglied der Familie Steinberg! Erinnerst du dich, dass er diesen Raben bei sich hatte, als wir ihn gefunden haben? Seine Familie hat einen Raben in ihrem Wappen. Ich habe das mal auf einem Schulausflug gesehen. Das ist ewig her, aber ich kann mich noch genau daran erinnern. Ist das nicht witzig?«
»Wappen?«, fragte ich mit schwacher Stimme.
»Ja, sein Großvater war früher ein Graf oder so was. Ich kenne mich damit nicht aus, der Adel wurde bei uns abgeschafft. Aber Alexej hat eindeutig blaues Blut!« Sie kicherte wieder.
Blaues Blut? Nein, schrie es in mir - er hat zwei Herzen. Zwei Herzen in seinem Körper.
»Wir haben früher im Geschichtsunterricht das Ganze durchkauen müssen. Ich glaube sein Großvater ist enteignet worden und dann im Arbeitslager gestorben. Man hat ihnen alles weggenommen. Damals war es sogar verboten, als Angehöriger des ehemaligen Adels zu studieren, sie durften nur einfache Arbeiten verrichten, im Bergbau oder im Straßenbau oder vielleicht als -«
»Waldarbeiter?«, fragte ich schwach.
»Genau. So was in der Art. Davon hat Alexej ja nichts mitbekommen, das war lange vor seiner Zeit. Wenn ich mich richtig erinnere, ist damals ein Steinberg bei einem Unfall gestorben, Anfang der Neunziger. War irgendwie in der Widerstandsbewegung gegen die Kommunisten aktiv. Kann sein, dass das sein Vater war. Aber da müsste ich Marek fragen, der interessiert sich viel mehr für sowas.«
Anfang der Neunziger? Da konnte er gerade mal sechs oder sieben Jahre alt gewesen sein.
»Hat er dir davon denn nie was erzählt?«, fragte Timo.
Kein Wort. Er hatte so wenig von sich erzählt, und wenn, dann waren es nur einzelne Teile gewesen, die nicht zusammenpassen wollten.
Hatte er sich vielleicht die ganze Zeit über mich lustig gemacht? War das irgend so ein perverses Spiel, weil er sich die Zeit vertreiben wollte?
Nein - das war ungerecht. So wollte ich nicht von ihm denken. Er war verletzt gewesen, als wir ihn gefunden hatten, er wäre fast gestorben. Und er war völlig auf sich allein gestellt - ohne Familie. Da konnte sie noch so einen bombastischen Namen haben. Außerdem besaß er nichts. Das hatte er gesagt, an dem Tag, als ich ihn aus dem Krankenhaus abgeholt hatte, und es entsprach der Wahrheit. Es gab kaum jemanden der weniger an materiellen Dingen interessiert war als er. Das Einzige, was ihn wirklich interessierte, war die Musik.
»Ich glaube, wir müssen wieder rein. Gleich fängt der zweite Teil an«, sagte Lara.
»Geht schon mal vor, ich muss noch einmal kurz an die frische Luft.«
»Bist du sicher, dass alles in Ordnung ist? Du machst dich doch jetzt nicht verrückt, wegen dem, was ich dir erzählt habe?«
»Nein, natürlich nicht.« Ich sandte ein tapferes Lächeln in ihre Richtung, aber innerlich fühlte ich mich grauenvoll.
»Geht schon - ich komme gleich. Ehrlich!« Ich scheuchte die beiden zurück durch die Tür und lief die Treppe nach unten.
Ein paar Nachzügler hasteten an mir vorbei. Eine Frau im Kostüm wies mich darauf hin, dass ich in wenigen Augenblicken nicht mehr in den
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