Rabenblut drängt (German Edition)
meinen Mantel mitgenommen. Ich schleuderte die Handtasche wütend herum, da fiel mir ein, dass ich ja Timos Autoschlüssel hatte. Also lief ich über den Platz in Richtung Golf.
Ich ließ mich auf den Fahrersitz fallen und steckte den Schlüssel ins Zündschloss. Aber auch im Auto war es eiskalt und der Wagen hatte keine Standheizung. Ich stellte das Radio an und sofort dröhnte Rockmusik aus den Boxen. › Nothing else matters ‹ von Metallica - wie passend. Ich drehte den Regler auf volle Lautstärke und ließ meinen Kopf auf das Lenkrad sinken.
Die Musik war so laut, dass ich nicht hörte, wie sich die Beifahrertür öffnete. Eine Hand legte sich auf meinen nackten Arm, ich fuhr erschrocken zusammen. Alexej drehte das Radio ab.
»Du willst doch jetzt nicht losfahren, oder? Ich bitte dich, warte, bis dein Bruder kommt!«
Er sprach so freundlich, so teilnahmsvoll. Und das, obwohl ich ihn gerade einfach stehen gelassen hatte.
Nein, dachte ich plötzlich, Alexej hatte nicht nur ein gutes Herz, er hatte sogar zwei ! Ich lachte auf und wischte mir mit der Hand die Tränen fort.
»Du lachst?« Diesmal konnte ich an der Färbung seiner Stimme genau hören, wie angespannt er war.
»Ich glaube, ich bin ein bisschen hysterisch«, versuchte ich zu erklären.
»Verständlich.«
»Ja - nein, so meine ich das nicht. Du hast nur - du hast mein ganzes Leben auf den Kopf gestellt. Nichts ist mehr wie es vorher war.«
»Ich habe alles zerstört«, sagte er.
»Nein, du hast überhaupt nichts zerstört. Ich - ich meine -«, Himmel, wie schwer es mir fiel etwas zu sagen. Aber er kam mir zuvor.
»Ich hatte Angst.« Er strich sich verlegen eine Haarsträhne hinter das Ohr. »Die ganze Zeit hatte ich Angst, dass du mich hasst, wenn du es erfährst. Dass ich dich abstoßen würde.« Sein Gesicht zeigte einen gequälten Ausdruck. »Ekelst du dich vor mir?«, fragte er.
Oh Himmel!, dachte ich.
»Nein! Überhaupt nicht - niemals.« Ich kam ins Stottern. Ich würde nicht alles kaputtmachen, nur weil er anders war, als ich es gedacht hatte. Und deshalb nahm ich meinen ganzen Mut zusammen.
»Ich liebe dich, Alexej. Oder Aki, oder Alexander, oder wie auch immer du dich nennst«, sagte ich.
Er hob den Kopf. »Sag das noch mal.«
»Ich liebe dich.«
»Nein.«
»Es ist aber so.«
In Alexejs Augen flackerte es.
»Ich habe nie gehofft -« er stockte, »Niemals, habe ich zu hoffen gewagt, dass - nicht, wenn du wüsstest, was ich wirklich bin. All die Jahre habe ich nie davon geträumt, als Mensch glücklich zu werden.«
Wer hatte ihm nur so wehgetan? Wer war dafür verantwortlich, dass er sich selbst so wenig mochte? Ich spürte Wut in mir aufkeimen. Wer, verdammt noch mal, hatte ihm weißgemacht, dass er es nicht wert wäre, geliebt zu werden?
»Hat Nathalie dir das etwa eingeredet?«, fragte ich rundheraus. »Hast du ihr das zu verdanken? Was war da zwischen euch?«
Er strich sich wieder nervös durch die Haare, aber er wollte ehrlich zu mir sein, das konnte ich ihm ansehen.
»Wir waren einmal ein Paar. Es ist wirklich schon sehr lange her. Ich war erst neunzehn und wusste nicht, dass ich mich verwandeln würde.«
Bei dem Wort ›verwandeln‹ schlug mein Herz eine Extrasystole.
»Das heißt, du bist nicht schon immer so gewesen? Du bist nicht so auf die Welt gekommen?« Aus irgendeinem Grund war mir die Antwort auf diese Frage sehr wichtig.
»Nein, ich hatte keine Ahnung. Bis zu diesem Zeitpunkt habe ich ein ganz normales Leben geführt, wie jeder andere auch. Wir trafen uns auf dem Konservatorium. Nikolaus studierte Geige und Nathalie Gesang. Wir haben damals viel Zeit miteinander verbracht.«
»Und dann hast du dich verwandelt? Einfach so?«
»Nicht einfach so. Es gab Anzeichen. Zumindest hätte es sie gegeben, wenn ich gewusst hätte, worauf ich hätte achten müssen. Aber, wie gesagt, ich war völlig ahnungslos.«
»Was für Anzeichen waren das? Kannst du dich daran erinnern?«
»Ehrlich gesagt nein. Nikolaus hat mir später einmal erzählt, dass ich damals seltsame Gewohnheiten angenommen hätte und ein paar ziemlich schräge Gelüste. So hat er sich zumindest ausgedrückt. Aber mir war das alles überhaupt nicht bewusst.«
Ich nickte. »Bitte erzähl weiter. Was ist passiert, nachdem du erfahren hast, was mit dir geschieht, mit deinem Körper?«
»Nikolaus war damals bei mir und natürlich sehr schockiert. Er hat mir geraten, es lieber für mich zu behalten. Also habe ich versucht gegen die Verwandlung
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