Rabenblut drängt (German Edition)
Gottes Erdboden! Jeder kennt dich, nur ich kenne dich überhaupt nicht. Woher soll ich wissen, dass du dich nicht über mich lustig machst?«
»Ich habe mich nie, niemals über dich lustig gemacht!« Ich war so entsetzt darüber, dass sie das von mir dachte, dass ich erst einmal tief Luft holen musste.
»Ich besitze nichts«, sagte ich. »Verstehst du? Und dieser Name ernährt mich nicht! Ich bin nicht in der Position, mich über irgendjemanden lustig zu machen. Es ist nicht Stolz gewesen, der mich von dir ferngehalten hat. Ich bin nicht stolz! Wenn du den Dreck auf deiner Zunge gespürt hast, während andere über dich hinwegschreiten, dann weißt du, dass du dir Stolz nicht leisten kannst! Es ist einfach so: Ich habe überhaupt nichts vorzuweisen, ich habe nichts, was ich dir bieten könnte, außer -« ich hielt inne.
Was hatte ich ihr bloß sagen wollen?
Außer meinen verfluchten Genen?
Verzweifelt fuhr ich mir durch das Haar. Ich erinnerte mich noch genau an ihre Worte, als sie mir die Geschichte ihres Namens erzählt hatte.
Wie könnte ein Mensch schon einen Vogel lieben?
Niemals durfte ich ihr sagen, was ich bin. Niemals durfte ich ihr sagen, dass ich ein Rabe bin! Sie würde mich dafür hassen.
»Und was hat es mit diesem Wappen auf sich?«, fragte sie auf einmal, und im ersten Moment wusste ich gar nicht, was sie damit meinte.
»Lara hat mir erzählt, dass in eurem Familienwappen ein Rabe ist. Stimmt das?«
»Ja«, gab ich zu.
»Und was bedeutet das? Wieso gibt es immer wieder diese Verbindung zwischen dir und diesen Raben? Wieso begleiten sie dich? Wieso hast du nach ihnen gesucht? Wieso war einer von ihnen dein Freund? Erklär es mir bitte, ich möchte das verstehen!«
Es war unmöglich ihr diese Fragen zu beantworten.
»Es ist nicht so einfach«, fing ich an. »Der Rabe ist schon seit fast vierhundert Jahren im Wappen meiner Familie. Ich kann dir das jetzt nicht erklären - nicht hier.«
»Dann gehen wir eben«, sagte sie und nahm meine Hand.
»Jetzt?«
»Natürlich jetzt! Wenn es auch nur eine Sache gibt, die verhindert, dass ich bei dir sein kann, dann will ich sie sofort beseitigen.«
Auf einmal nahm ich das Gewimmel der Menschen um uns herum wieder wahr, hörte die lauten Stimmen, die vorher einfach an mir abgeprallt waren. Ich spürte Isabeaus Hand in meiner - alles andere war unwichtig.
Sie zog mich durch die Menge. Doch kurz bevor wir die Tür erreichten, stellte sich uns eine rote Gestalt in den Weg.
»Ihr wollt schon gehen?«, gurrte Nathalie. Ich erstarrte mitten im Schritt. Der letzte Mensch, den ich jetzt gebrauchen konnte, war Nathalie. Ich wollte mich an ihr vorbeidrängen, aber Isabeau blieb stehen.
»Kennt ihr euch?«, fragte sie mich.
Ich stöhnte innerlich. Ich könnte Nathalie erwürgen, überlegte ich kurz, aber das würde mir Nikolaus sicher übel nehmen.
»Darf ich vorstellen: Das ist Nathalie, Nikolaus’ Schwester.«
Nathalie zeigte eine Reihe perlendweißer Zähne. »Und mit wem habe ich das Vergnügen?«
»Bauerntrampel«, sagte Isabeau. »Ich bin der Bauerntrampel.«
Was hatte das zu bedeuten? Die Frage musste auf meiner Stirn zu lesen gewesen sein, denn Nathalie beugte sich vertraulich vor.
»Ich gestehe, wir haben uns schon bekannt gemacht.« Sie warf ihre blonde Mähne zurück und lachte.
Hatte ich sie jemals schön gefunden?
»Wenn du uns bitte entschuldigen würdest?«
»Aber natürlich«, sagte sie gefährlich sanft. »Wer wüsste besser als ich, dass du abends nicht so lange aufbleibst? Du brauchst deinen Schlaf, nicht wahr? Und sicher musst du dir noch ein hübsches Nest suchen für die Nacht.«
Ich schloss die Augen. Tu das nicht!, dachte ich flehend. Unwillkürlich hielt ich Isabeaus Hand fester.
»Es ist gut, Nathalie. Ich werde jetzt gehen. Mein Anblick wird dich nicht weiter belästigen.«
»Du belästigst mich doch gar nicht! Aber weißt du, Haustiere sind hier nicht erlaubt. Höchstens ein paar Fliegen.« Sie kicherte. »Magst du Insekten eigentlich? Isst du sie? Pardon, das war die falsche Wortwahl. Richtig müsste es heißen: Frisst du sie?«
Isabeau schnappte entsetzt nach Luft. »Was fällt Ihnen eigentlich ein?«
Nathalie lachte abfällig. »Wer bist du eigentlich, Bauerntrampel? Seine Tierpflegerin? Schläft er mit dir? Treibst du es gern mit Tieren?«
Das war zu viel. Ich packte Nathalies Handgelenk.
»Das reicht. Ich weiß, dass beleidigende Worte deine große Stärke sind, aber du wirst das nicht wiederholen.
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