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Rabenblut drängt (German Edition)

Rabenblut drängt (German Edition)

Titel: Rabenblut drängt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikola Hotel
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Öffnen der Tür nicht angesprungen, deshalb konnte ich nur einen dunklen Schatten ausmachen. Einen kurzen Moment hörte ich ein flaches Atmen, dann tönte von hinten ein energischer Ausruf.
    »Machen Sie das Licht an, Šimon!«
    Diese Stimme fuhr mir durch Mark und Bein! Der Fahrer tastete einen Moment suchend das Autodach ab und fand schließlich den Lichtschalter.
    »General!«, entfuhr es mir unwillkürlich. Meine Großmutter saß hinten auf der Rückbank. Sie hielt ihre Handtasche auf dem Schoß umklammert. Ihre Knöchel traten weiß hervor.
    »Wenn du einsteigen würdest, könnten wir uns unterhalten ohne uns anzubrüllen«, stellte sie fest.
    In der Tat. Ich war erleichtert und zog die hintere Tür auf, um mich neben sie zu setzen.
    »Hast du mich vielleicht erschreckt! Lauerst du neuerdings immer den Leuten auf offener Straße auf?«
    »Das verwahre ich mir für die besonders harten Fälle«, sagte sie rundheraus. »Du darfst mir zur Begrüßung einen Kuss geben.« Sie hielt mir ihre Wange hin.
    »Selbstverständlich.« Ich beugte mich vor und küsste sie auf die faltige Wange. Sofort überfiel mich ein Geruch nach getrockneten Lavendelblüten und nach dem Gesichtspuder, das sie immer großzügig benutzte.
    »Ich habe dich sehr vermisst«, sagte ich.
    Sie schnaubte. »Das habe ich gemerkt! Aus diesem Grund musste ich von deinem Auftritt auch durch Šimon erfahren. Du hast es nicht einmal für nötig befunden, mich persönlich zu benachrichtigen, dass du wieder unter uns weilst.«
    »Es war ein wenig kurzfristig«, hob ich an.
    »Unsinn!«, würgte sie mich ab. »Dir fehlte es an Courage! Du hast befürchtet, dass ich dir den Kopf abreiße, wenn du dich nach so langer Zeit wieder blicken lässt. Und deine Befürchtungen waren berechtigt. Ich habe gute Lust ein wenig Gewalt auszuüben!«
    »Herr Šimon?«, rief ich nach vorne. »Neigt meine Großmutter neuerdings zu Gewaltausbrüchen?«
    Šimon räusperte sich. »In letzter Zeit nicht, Herr von Steinberg.«
    Ich lehnte mich entspannt zurück. »Also alles nur leeres Gerede!«, sagte ich fast ein wenig enttäuscht.
    »Frecher Bengel!«, erwiderte sie liebevoll. Und zu Šimon gewandt: »Fahren Sie!«
    Der Zündschlüssel wurde herumgedreht und der Wagen setzte sich sofort in Bewegung.
    »Wohin fahren wir?«
    »Orlík«, erklärte der General knapp.
    Ich seufzte. Immerhin, die Richtung stimmte. Es brachte mich näher zu Isabeau.
    »Haben dir die Stücke gefallen? Ich habe das Zweite nur für dich ausgesucht, weil ich wusste, dass du kommen würdest.«
    »Willst du gelobt werden?«
    Ich lächelte milde. Anscheinend hatte es ihr gut gefallen, sonst hätte sie mir niemals mit einer Gegenfrage geantwortet.
    »Dein Großvater wäre sicher stolz auf dich. Und dein Vater auch«, fühlte sie sich doch bemüßigt zu erklären.
    Ich musterte sie von der Seite. Sie schien um keinen Tag gealtert, seit dem letzten Mal, als ich sie gesehen hatte, und doch war um ihren Mund ein neuer Zug. Sie war eine starke Frau. Wie hätte sie es auch sonst ertragen können, mit meinem Großvater zu leben, meinen Vater großzuziehen und ebenso mich selbst unter ihre Fittiche zu nehmen.
    Sie hatte niemals mit ihrem Schicksal gehadert. Sie wurde enteignet und aus ihrem Heim vertrieben. Man hatte sie aller Privilegien beraubt und sie war gezwungen gewesen, meinen Vater unter ärmsten Bedingungen großzuziehen. Mein Großvater war beim Gerichtsprozess ›Prager Burg‹ der Verschwörung gegen den Staat angeklagt und verurteilt worden. Sie verlor ihn, als er während seiner Strafe im Uranabbau zwangsarbeiten musste und dabei schwer erkrankte. Das Einzige, was ihr geblieben war, waren die wenigen persönlichen Schmuckstücke und Erinnerungen, von denen sie viele auch noch veräußern musste, um ihren Sohn zu ernähren. Sie hatte Jahre in einer Fabrik in der Produktion gearbeitet und nebenbei Gürtelschnallen zusammengeschweißt.
    Ich erinnerte mich, dass sie mir berichtet hatte, wie man ihr, Anfang der Fünfzigerjahre, die Lebensmittelkarten weggenommen oder oft gar nicht erst aushändigt hatte, mit der Begründung, sie würde zum ›kapitalistischen Ungeziefer‹ gehören.
    Und noch heute hatte ich ihre Stimme im Ohr, wenn sie von unserer Familiengeschichte sprach: »Wir sind eine alte Familie. Vermögen kommen und gehen, das gehört zum Leben dazu. Wir haben oft gewonnen und jetzt haben wir eben verloren.«
    Wenn ich sie mir jetzt so ansah, wie sie mit diesem entschlossenen Gesichtsausdruck ihren

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