Rabenblut drängt (German Edition)
tot, obwohl sie noch lange nicht an der Reihe waren. Und vorne rechts neben deinem Vater, das ist der kleine Wratislaw, er war damals vielleicht neunzehn. Sie waren alle gegen den Kommunismus aktiv, haben Petitionen verfasst, sie als Flugblätter verteilt und Demonstrationen unter den Studenten organisiert. Ich war damals dagegen. Ich hielt es für viel zu gefährlich, erst recht für einen Steinberg. Aber dein Vater war jung und nicht bereit, sich mit der Situation, in der wir lebten, abzufinden. Ja«, sagte sie seufzend, »und das ist das Gesicht, an das ich mich erinnert habe.«
Sie zeigte auf einen jungen Mann, der links von meinem Vater stand und in die Kamera grinste. Es war ein Bild von Nikolaus, wie er leibt und lebt. Die Körpergröße, der freche Gesichtsausdruck, sogar dieselben langen Haare. Nur dass dieses Bild mehr als zwanzig Jahre alt war! Es konnte nur Nikolaus’ Vater sein, durchfuhr es mich.
»Ich wusste gar nicht, dass die beiden sich gekannt haben«, sagte ich.
»Hier!« Sie zog einen weiteren Zeitungsausschnitt aus dem Karton. Es war ein Bild, das die Festnahme einiger Demonstranten zeigte. Der Artikel stammte aus einer deutschen Zeitung und beschrieb das Vorgehen der Staatssicherheit gegen die Demonstranten in der Tschechoslowakei als äußerst brutal. Ich erkannte Nikolaus’ Vater unter ihnen. Ein Russe, ein Exkommunist, der gegen die kommunistische Regierung demonstrierte. Sicherlich waren sie nicht besonders zurückhaltend mit ihm umgegangen.
»Nikolaus hat dir nie davon erzählt?«, fragte meine Großmutter mit seltsam sanfter Stimme.
»Nein.«
»Wirklich ungewöhnlich«, überlegte sie.
»Vielleicht weiß er ebenso wenig davon wie ich.«
»Er wird doch seinem Vater gegenüber einmal erwähnt haben, dass er mit dir befreundet ist. Sein Vater wird doch von dir und dieser - wie hieß sie noch?«
»Nathalie.«
»Er wird doch von euch gewusst haben. Wieso hat er es dann niemals erwähnt, frage ich mich.«
Das war eine berechtigte Frage.
»Und du vertraust Nikolaus? Du vertraust seinem Wort?«
»Absolut.«
»Vertrauen -«, begann sie und beobachtete mich dabei genau. »- übertriebenes Vertrauen schadet in den meisten Fällen mehr, als es Misstrauen je könnte.«
Rabenlust
O b ich diesen Rauchgeruch jemals wieder abgewaschen bekam? Ich schnupperte an meinem nackten Arm und verzog das Gesicht - ich roch wie ein geräucherter Hering.
An diesem Tag hatten wir hauptsächlich Bestandsaufnahme gemacht und dokumentiert, wie groß die Zerstörung durch den Brand war. Die Messung hatte ergeben, dass das Feuer nur eine geringe Fläche von etwa einem Ar vernichtet hatte. Bei der Spurensuche hatte man Rückstände von Brandbeschleunigern gefunden und damit bestätigt, was Marek schon vermutet hatte.
Der Gedanke, dass dieser Anschlag mit ziemlicher Sicherheit Alexej und seinem Schwarm gegolten hatte, war auch nicht dazu angedacht, mich zu beruhigen.
Erst hatte man die Hunde auf ihn gehetzt, und dann wurde sein Schlafplatz angezündet. Was würde das Nächste sein?, fragte ich mich.
Alexej hatte vollkommen recht, es hatte viel zu viele Unfälle gegeben. Die Sache mit seinem Vater - mit ihren Vätern, hatte mich wirklich schockiert. Wie konnte es sein, dass mehrere befreundete Männer durch Unfälle starben und es fiel nie jemandem ein, das genauer zu untersuchen?
Aber es war unlogisch, Nathalie ein Motiv dafür zu unterstellen. Erst einmal war sie viel zu jung, und zweitens hatte sie doch gewusst, dass Alexej in Prag war. Warum also sollte sie etwas mit dem Brand zu tun haben? Es sei denn, dieser Brand sollte den Schwarm ein wenig aufscheuchen - ihn aus der Reserve locken.
Ich drehte den Wasserhahn zu und tastete durch den Vorhang nach meinem Handtuch. Der Kanonenofen bollerte und machte aus meinem Schlafzimmer eine gemütliche Höhle.
Ob Alexej bereits wusste, was passiert war? Von hier bis nach Prag war es, Luftlinie gesehen, ja nicht besonders weit.
Ich konnte mir vorstellen, dass seine Großmutter ihn nicht so schnell wieder gehen lassen würde, nachdem sie ihn acht Jahre vermisst hatte. Bestimmt würde ich nicht vor Mittwoch mit ihm rechnen können. Vielleicht auch Dienstag oder - Sakra! Ich brauchte dringend Ablenkung.
Ich warf mich über das Bettgestell und kramte darunter nach einem spannenden Buch. › Das Erlkönig-Manöver ‹ von Robert Löhr fiel mir in die Hände und ich klappte den Buchdeckel auf. Schon bei den ersten Zeilen kicherte ich und war bald
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