Rabenblut drängt (German Edition)
veränderte. Die Asche hatte sich wie ein schwarzes Tuch ausgebreitet und das Licht getrübt.
Der Boden war mit Staub bedeckt und die Überbleibsel der Baumstämme staken wie antike Ruinen in den Himmel. Es war nicht alles kahl, weil die Feuerwacht frühzeitig eingeschritten war, aber an vielen Stellen sahen die Bäume aus wie abgebrochene Finger einer Hand, die sich hilflos nach oben reckten.
Gestern Morgen war der Boden warm gewesen. Man hatte die Energie des Feuers noch durch die Schuhsohlen spüren können. Aber heute war er kalt und der Tau glitzerte als dünner Film auf dem schwarzen Grund. Ich fröstelte. Unbeholfen griff ich nach dem Saum meiner Jacke und fingerte an dem Reißverschluss herum. Meine Sohlen verursachten nur ein leises Knirschen, ansonsten war der Wald unheimlich still. Der Nebel, die Schwärze, die verkohlten, verstümmelten Baumstämme und dazu noch dieses Schweigen jagten mir eine Gänsehaut über den Rücken.
Ich kämpfte immer noch mit meinem Reißverschluss. Auf halber Strecke klemmte er sich endgültig im Innenfutter fest und ich bekam ihn weder hoch noch runter. Sakra! Am besten ging ich nach Hause. Ohne Ausrüstung hatte es hier wenig Sinn. Doch irgendwie fesselte mich dieser Ort. Der Dunst waberte über den Boden und die Kälte kroch mir langsam die Beine hoch. Ich fühlte mich beobachtet und drehte mich nervös um die eigene Achse.
Aber da war niemand.
Trotzdem hatte ich das Gefühl, nicht alleine zu sein.
Was war nur los mit mir? Ich hatte doch noch nie im Wald Angst gehabt. Wieso lief mir dann jetzt eine ganze Ameisenkolonie den Rücken hinunter? Etwa, weil ich in der letzten Nacht wieder diesen Alptraum gehabt hatte? Meinen Traum von dem schwarzen Rabenteppich, der sich auf eine Menschengestalt stürzt? Ich atmete schwer, und plötzlich hörte ich etwas den Wind durchschneiden. Wie ein Rutenhieb schlug es durch die Luft.
Ich bewegte meine Füße langsam vorwärts. Aber im selben Moment überfiel mich Panik und ich suchte hektisch alle Richtungen ab. Irgendetwas war hier! Meine Nackenhaare stellten sich auf, als krabbelten meine Urinstinkte an die Oberfläche. Ich drehte mich im Kreis und sah auf dem Boden plötzlich etwas, dass meinen Blutfluss stocken ließ:
Zwei Fußabdrücke. Genau vor mir in der schwarzen Asche.
Das kalte Grausen packte mich. Das waren menschliche Fußabdrücke, eindeutig! Aber hier war kein Mensch außer mir. Und die beiden Spuren verliefen ins Nichts.
Erneut hörte ich dieses peitschende Geräusch. Ich machte einen großen Schritt über die Fußspur hinweg, voller Angst, ich könnte aus dem Gleichgewicht geraten und aus Versehen darauftreten. Dann surrte etwas über meinen Kopf hinweg. Ich schrie auf, und der Schatten verschwand. Aber nur wenige Sekunden später kam er wieder aus dem Nebel angeprescht und flog so dich über mir, dass seine Flügel meinen Kopf berührten.
Es war ein Rabe! Ich hörte sein lautes Krächzen, aber diesmal klang es nicht wie Musik in meinen Ohren.
»Alexej?«
Er konnte doch unmöglich schon aus Prag zurück sein? Wollte er mir Angst einjagen? Wenn das seine Absicht was, dann gelang es ihm ziemlich gut.
»Hör auf damit!«
Der Rabe landete lässig auf einem der verkohlten Äste. Er sah gar nicht so aus wie heute Morgen. Sein Gefieder war anders, struppiger.
»Wer bist du?«, fragte ich. »Du bist nicht Alexej.«
Der Vogel legte den Kopf zurück, öffnete den klobigen Schnabel und keckerte laut und anhaltend. Nicht so freundlich wie Jaro, sondern mit einem wilden Unterton.
Ich überlegte, ob ich einfach loslaufen sollte. Was konnte der Rabe für einen Grund haben mir zu folgen? Vermutlich würde er einfach sitzen bleiben. Das Herz pochte mir bis zum Hals. Und dann rannte ich los. Doch beinahe sofort hörte ich das wummernde Geräusch seiner Flügelschläge.
Er sauste über mich hinweg und schwang sich vor mir auf den nächsten Baum.
Ich blieb stehen und rang nach Luft. Und im selben Moment schaukelte der Rabe nach vorne, als wollte er sich kopfüber hinunterstürzen, und fiel in einem eleganten Bogen hinab. Es ging so schnell, dass ich meinen Augen kaum traute. Seine Federn spritzen nach allen Seiten weg. Seine Verwandlung war gewaltig. Weiße Haut ergoss sich im Schwall und versprühte den Raben wie Ascheregen.
Vor mir baute sich ein Mann auf.
Ein mir völlig fremder Mann.
Und er war schön! Seine dunkelblonden Haare fielen ihm weich in die Stirn. Seine Augen strahlten in einem satten Grün. Breitbeinig stand
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