Rabenblut drängt (German Edition)
wahnsinnig, und ich konnte nicht einmal sagen womit genau, denn die meiste Zeit war er ausgesprochen höflich. Vielleicht war auch das genau der Grund. Er hatte eine Art sich auszudrücken, die Wahl seiner Worte, seine zurückhaltenden Gesten, die mich einfach anstachelten. Er war immer so beherrscht, so nachdenklich. Kaum dass ihm ein unbedachtes Wort entschlüpfte.
Außer vermutlich gestern Nacht.
Ich schmunzelte in Erinnerung daran. Ein wenig war er schon aus sich herausgekommen. Allerdings nur, weil ich ihn dabei erwischt hatte, wie er ein rohes Steak verspeisen wollte. Wie unangenehm ihm das gewesen war! Ich hätte die Situation wahrlich genießen können, wenn er es nicht geschafft hätte, sie innerhalb von Sekunden umzudrehen.
Dieser Mann gab mir Rätsel auf. Ich glaubte keine Sekunde, dass er sich nicht an den Unfall erinnern konnte. Vielmehr war ich mir sicher, dass er absichtlich etwas verbarg. Ein Geheimnis umgab ihn. Und das Schlimmste daran war, dass ich die Einzige war, die das so empfand. Marek fand ihn furchtbar nett und bescheiden und war einfach nur froh, ihm behilflich sein zu können. Und Lara - tja, was sollte ich dazu sagen? - sie war schlicht hingerissen von ihm. Und das ließ meine Fantasie erst recht hochsprudeln. Er hatte eine Art, die ihn bei anderen sofort beliebt machte. Selbst Michala, die Köchin, war heute Morgen furchtbar guter Laune gewesen. Anscheinend hatte ihr der Eremit schon gebeichtet, ihre Reste dezimiert zu haben, und sie freute sich auch noch darüber. Der arme Junge musste ja dringend wieder etwas auf die Rippen bekommen!
Aber hatte ich nicht selbst das Gefühl gehabt, Mitleid mit ihm haben zu müssen? Natürlich, ich hatte ja schließlich seinen Überlebenskampf im Krankenhaus hautnah miterlebt. Aber ich empfand ihn nicht als armen Jungen. Da war eine innere Kraft, die in ihm zu pulsieren schien. Eine Stärke des Willens, die ihn antrieb. Nein, da war überhaupt nichts Jungenhaftes.
Ich dachte daran, wie er gestern vor dem Kühlschrank gestanden hatte, und atmete tief durch. Das gelbe Licht hatte seinen Oberkörper angestrahlt. Ich war davon so gebannt gewesen, dass ich mich gar nicht früher hätte bemerkbar machen können, selbst wenn ich es gewollt hätte. Seine weiße Haut, der Schweißfilm, der ihn bedeckt hatte - er musste einen ganz schön weiten Weg gerannt sein. Und wie heiß er sich angefühlt hatte, fast wie im Fieber.
Hoffentlich würde der Quark die neue Entzündung aus ihm herausziehen. Allerdings - was ging mich das überhaupt an? Ich sollte wirklich aufhören, mir über ihn Gedanken zu machen. Nein!, beschloss ich, ich würde jetzt sofort aufhören, an ihn zu denken!
Nach diesem Entschluss dachte ich an ihn, bis Lara mir beim Frühstück mitteilte, sie müsse zum Einkaufen in die Stadt fahren, und ich solle Alexej auf meiner Tour mitnehmen. Wir könnten ja gemeinsam die neuen Schlingenfallen überprüfen.
Na prima! Ich suchte mir also das nötige Material zusammen, stopfte alles in den Rucksack und ging in die Küche, um Tee zu kochen. Es war kalt und an einer Tasse Tee konnte man wenigstens Hände und Bauch ein wenig wärmen. Aber als ich den Raum betrat, war Alexej schon da und goss gerade heißes Wasser in die Thermoskanne.
Er lächelte - mal wieder. Obwohl ich damit gerechnet hatte, so einer Charme-Attacke ausgeliefert zu werden, verschlug es mir doch die Sprache, als seine kräftigen Zähne aufblitzten. Konnte er damit wirklich rohes Fleisch kauen?
»Guten Morgen«, sagte er.
» Dobrý den .« Es klang wohl etwas mürrisch, denn sein Lächeln wurde breiter. Außerdem hieß es ›Guten Tag‹, aber mir fiel gerade das richtige Wort nicht ein.
»Du übst dein Tschechisch?«
Ich antwortete nicht darauf. Sollte er doch seine gute Laune allein verbreiten. »Hast du schon gefrühstückt? Wir haben da noch etwas rohen Schinken im Kühlschrank!«, sagte ich bissig.
»Danke, ich habe genug.« Er blieb völlig gelassen.
Mir kam eine andere Idee: Ich legte den Rucksack auf einem Stuhl ab, beugte mich über die Küchentheke und stellte das Radio an. Leider Werbung. War Radiowerbung schon auf Deutsch eine Zumutung, auf Tschechisch war sie einfach grauenvoll. Ich drehte an dem Einstellknopf herum, bis ich den Popsong irgendeiner furchtbar aktuellen Band hörte und stellte genüsslich lauter. Neben mir zuckte Alexej zusammen und schraubte schnell die Kanne zu, bevor er sich auf dem Absatz umdrehte.
»Ich warte draußen auf dich«, sagte
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