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Rabenblut drängt (German Edition)

Rabenblut drängt (German Edition)

Titel: Rabenblut drängt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikola Hotel
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gesagt hatte, Raben seien geübt darin, eine unbeteiligte Miene aufzusetzen. Geübt, sich demonstrativ abzuwenden, damit sich die Futterkonkurrenten in Sicherheit wiegten. Alexej hatte seine Arme vor der Brust gekreuzt und lehnte sich entspannt zurück. Es konnte nicht schaden, seine selbstsichere Haltung ins Schwanken zu bringen.
    »Weißt du, ein bisschen kommst du mir vor wie ein Spion.«
    »Wie bitte?«
    »Marek hat mir davon erzählt, wie intelligent deine Raben sind. Also ich meine Raben wie dein Pavel.«
    »Ach ja?« Er war plötzlich ganz aufmerksam. Seine Kiefer spannten sich an, als hätte er einen harten Brocken zu kauen.
    »Er sagte, Raben hätten eine lange Tradition von Spionage und Gegenspionage, und dass sie -«, ich überlegte kurz und lachte dann auf. »Er sagte, dass sie hervorragende Pokerspieler wären, wenn man ihnen nur beibrächte, die Karten zu halten.« Ich nickte ihm zu. »Und ich glaube, du wärst ebenfalls ein ziemlich guter Pokerspieler.«
    Alexej krallte sich an der Tischplatte fest. Seine Hände zitterten. Was hatte ich gesagt, das ihn so alarmierte? Eigentlich sollte es ein Kompliment sein. Oder wenigstens ein Scherz.
    »Ich -«, begann ich, aber Alexej unterbrach mich.
    »Nicht«, sagte er und legte mir seinen Zeigefinger auf die Lippen. Seine Fingerkuppe fühlte sich ganz sanft an, empfindsam. Plötzlich hatte Michala aufgehört, mit dem Geschirr zu klappern und trat an unseren Tisch.
    » Isi v pořádku? «, fragte sie besorgt.  
    Ich sprang auf, und Alexej ließ seine Hand sinken. Hatte ich vergessen, mich höflich für das Essen zu bedanken?
    » To mám ráda! «, stieß ich hervor.
    Michala kicherte und nahm unsere Teller vom Tisch.
    »Was hat sie gefragt?«, wollte ich von Alexej wissen.
    »Sie hat gefragt, ob du in Ordnung bist.« Die Anspannung, die ich eben noch zu sehen glaubte, schien abrupt von ihm abzufallen. Er grinste.
    »Und was hab ich gesagt?«
    Alexej musterte mich und entdeckte wahrscheinlich gerade die Soßenspur auf meinem T-Shirt, denn sein Grinsen wurde noch breiter.
    »Du hast gesagt: Das mag ich!«

Bruderseele
     
     
     
    E s war nur noch eine Frage von Stunden. Heute würde Nikolaus kommen. Ich sehnte den Moment herbei, denn es drängte mich, diesen Ort hier zu verlassen. Sie zu verlassen.  
    Wieso war sie mir nur so nah gekommen? Nicht nur mir als Mensch, auch mir als Rabe. Mit ihren unbedachten Worten hatte sie meine Welt gestreift, und das war mehr, als ich zuzulassen bereit war.
    Isabeau war immer gerade heraus, verstellte sich nicht, und doch konnte ich sie nicht durchschauen. Ob es ein Fehler gewesen war, zuzugeben, dass ich mich an alles erinnern konnte?
    Die Gefahr entdeckt zu werden war groß. Sie beobachtete mich, und ich wäre verlogen, wenn ich behauptete, es nicht zu genießen, wie sie mich ansah. Aber es war ein Risiko. Nicht nur für mich, auch für meinen Schwarm.
    Aber etwas in mir flimmerte.
    Wenn ich an sie dachte, pausierte das Schlagen meines Rabenherzens wie das Sospiro eines Musikstückes.
    Isabeau.
    Ich rieb mir mit den flachen Händen über das Gesicht.
    Es war erst kurz nach sechs. Bis zum Abendessen war noch Zeit, deshalb setzte ich mich an das ramponierte Klavier, dessen vergilbte Tasten Zeugen der Nikotinsucht anderer waren. Zärtlich fuhr ich über die Klaviatur und machte ein paar Fingerübungen. Meine Gelenke waren längst nicht mehr so steif wie noch vor ein paar Wochen. Die letzten Abende hatte ich damit verbracht, meine Technik zu verbessern und spielte ein paar Tonleitern rauf und runter.
    Nur ungern erinnerte ich mich an Czernys Schule der Geläufigkeit , durch die ich mich damals hatte quälen müssen. Oder die Übungen von Hanon, die so grauenvoll stupide und einschläfernd waren, dass ich nicht selten dabei Zeitung gelesen hatte.  
    Lieber spielte ich die Etüden von Liszt. Ich begann mit der dritten, die auf einem Thema Paganinis beruhte: La Campanella . Ich hatte dieses Stück schon oft gespielt. Trotzdem brach mir bei den anspruchsvollen Tremoli der Schweiß aus. Rasche Tonrepetitionen wechselten sich mit Oktaven ab, was eine spezielle Technik erforderte. Doch mein Ringfinger war zu kraftlos, um die Triller angemessen zu spielen.
    Ich wiederholte erneut dieselbe Passage. Wieder und wieder. Arm und Hand hielt ich fast ohne Gewicht, gab nur leichte Unterarmimpulse und steigerte mein Tempo. Ich war so konzentriert, dass ich gar nicht merkte, wie die Minuten verflogen.
    Dabei würde ich nach dem heutigen Tag nie

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