Rabenblut drängt (German Edition)
Analphabeten!«, brach es aus mir heraus. »Männer, die sich über den Kapitalismus echauffieren und deren eigene Macht nur auf ihrem finanziellen Status gründet. Es gibt kaum etwas, dass mich mehr anwidert!«
»Da gebe dir ja recht. Mich brauchst du nicht zu überzeugen.«
»Und vor dem Machtwechsel hat man meinen Vater doch tatsächlich verdächtigt, ein Kollaborateur zu sein! Ausgerechnet ihn! Nur weil er sich mit seiner Meinung zurückhielt, um seine Familie zu schützen.« Ich holte tief Luft. »Aber das ist jetzt über zwanzig Jahre her. Glaubst du wirklich, dass sich nach all den Jahren noch jemand daran erinnert?«
Nikolaus dachte nach. Dann sagte er: »Sie haben Arweds Vater gefunden.«
»Was meinst du damit?«
»Es war beinahe eine Hinrichtung. Er wurde von einem Schwertransporter überrollt. Laut Zeitung war die Stelle so ungünstig, dass selbst die Polizei Zweifel daran hat, dass es sich um einen Unfall handelt.«
Mir wurde übel. Arweds Vater war erst achtundvierzig Jahre alt gewesen, und die beiden jüngsten Kinder noch keine zehn.
»Aber bisher haben sie nie so offen agiert. Es gab immer nur versteckte Drohungen, Einschüchterungsversuche, schlimmstenfalls provozierte Unfälle, die niemals als solche zu erkennen waren.«
»Ich glaube, bei diesem Hundeangriff sollte überhaupt niemand getötet werden. Er sollte euch nur aus eurem Nest locken.«
»Damit könntest du recht haben. Aber wo ist Arwed jetzt?«
»Ich habe keine Ahnung. Er ist wohl zuhause gewesen, als sein Vater gefunden wurde. Danach -«, er breitete hilflos die Arme aus.
»Hältst du mich für einen Feigling, wenn ich dir gestehe, dass ich mich aus diesem Feldzug heraushalten möchte?«
Nikolaus war mehr als überrascht. »Natürlich nicht! Wie du sagst - das waren eure Väter. Sie können ihre Kämpfe selbst ausfechten.«
»Die, die noch übrig sind, meinst du wohl«, gab ich zurück. »Aber sie tragen Verantwortung für ihre Familien. Wir dagegen haben es uns selbst ausgesucht, allein zu sein. Wäre es nicht unsere Pflicht -«
»Euch zu opfern? Das ist doch lächerlich! Was willst du tun? Glaubst du, du kannst dorthin spazieren - und wohin überhaupt? - und sagen: Hier, nehmt mich, aber lasst meine Familie in Frieden! Es macht mir nichts aus, dem Tod ins Angesicht zu sehen! So etwas in der Art?«
»Das wäre nicht so ganz mein Stil.« Ich seufzte. »Wahrscheinlich war alles umsonst. Wir dachten, es würde keine weiteren Repressalien geben, wenn wir verschwinden, wenn keine Missgeburten mehr da sind.«
»Ich hasse das, wenn du so redest!«
»Ich weiß. Das ändert aber nichts an diesem Umstand.«
»Hat Nathalie dich damals so genannt? Eine Missgeburt?«, hakte Nikolaus nach.
»So und noch drastischer. Es ist erstaunlich, wie schnell manche Frauen ihre gute Erziehung vergessen können.«
»Sie ist eine blöde -«
»Sie ist deine Schwester! Glaube nicht, dass mich das heute noch bedrücken würde. Es ist so lange her, dass ich mich eigentlich kaum daran erinnern kann.«
»Trotzdem hast du ihre Worte nicht vergessen.«
»Weil ich jung war. Es ist leichter in zartes Fleisch zu schneiden. Heute bin ich zäher.«
»Wie Leder!«
Wir lachten. Plötzlich ging die Tür auf und Isabeau schob sich in den Raum, in den Händen ein riesiges Tablett. Sie guckte nicht hoch, sondern beobachtete besorgt ihre Ladung, die herunterzufallen drohte.
»Lara sagt, ich soll dir was zu Essen bringen, weil du noch beschäftigt bist.« Es klang nicht sehr begeistert - eher verärgert. Sie durchquerte den Raum und steuerte auf den Tisch zu, erst dann schaute sie sich nach mir um.
»Oh. Besuch?«
»Offensichtlich«, knurrte ich.
»Tut mir leid, das wusste ich nicht. Ich hoffe, ich störe nicht.« Sie stellte das Tablett unsanft ab.
» Doch.«
»Alexander!«, Nikolaus war ehrlich entsetzt.
Isabeaus Lippen formten stumm diesen Namen nach. Sie hatte große Augen bekommen, dann lächelte sie plötzlich.
»Darf ich mich vorstellen? Ich bin Isa... Isabeau.« Sie kam fröhlich auf uns zu und streckte Nikolaus die Hand hin.
»Freut mich - Nikolaus. Alexej und ich sind alte Freunde.«
»Schön, dass Sie ihn besuchen kommen, Sie sind der Erste bisher. Hat er Sie benachrichtigt, oder besitzen Sie telepathische Fähigkeiten?«
Nikolaus stutzte einen Moment, dann grinste er. »Letzteres, aber wir können ruhig Du sagen.«
»Und woher kennt ihr euch?«
»Wir waren zusammen in Wien auf dem Konservatorium, ist schon eine halbe Ewigkeit
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