Rabenblut drängt (German Edition)
ihn die Sekretärin spielen.
Und ich wollte Jaru wiedersehen - am liebsten sofort.
Jaru war sehr geschickt darin, mich aufzustöbern. Dass ich ihn die letzten Tage nicht gesehen hatte, konnte nur bedeuten, dass er satt war. Wenn er hungrig war und nichts Vernünftiges auftreiben konnte, würde er mich finden - ich war schließlich die Fritten-Frau.
Vielleicht sollte ich den Anreiz erhöhen und Michala aus ihrer Küche etwas Fleischiges stibitzen? Ein Versuch wäre es jedenfalls wert.
Marek trank seinen Kaffee im Stehen und hielt sich dabei die Zeitung vor die Nase. Als ich hereinkam, ließ er sie langsam sinken.
»Morgen Isa! Oje, stimmt etwas nicht mit der Stromleitung?«, fragte er mich bestürzt.
»Wieso?«
»Du hast doch einen Schlag abbekommen, oder nicht? Deine Haare sind irgendwie -« er machte eine ausladende Handbewegung, die sowohl eine Art Springbrunnen, als auch eine Explosion hätte darstellen können.
»Hnh«, sagte ich nur. Ich hatte gute Laune und wollte diesen Witz nicht weiter kommentieren. Ein wenig enttäuscht sah er aber schon aus.
»Das ist wirklich nicht witzig, weißt du?« Ich nahm einen jammervollen Ton an. »Meine Oma ist durch einen Stromschlag gestorben.«
»Oh.« Er sah sehr zerknirscht aus. »Das tut mir echt leid, sollte nur ein Scherz sein.«
Ich grinste und streckte ihm die Zunge heraus. Dass er auf diesen alten Gag hereingefallen war!
Er rollte seine Zeitung zusammen und klopfte mir damit auf die Nase. »Okay, du hast gewonnen. Aber du hilfst mir heute, oder? Du hast es versprochen.«
»Tu ich.« Ich stellte eine Tasse mit Milch in die Mikrowelle. »Ich wollte heute meinen Bruder anrufen. Wann darf er denn kommen?«
»Mir ist das gleich, ich muss doch nicht mein Bett mit ihm teilen.«
»Ich glaube nicht, dass er darauf wert legen würde. An Heiligabend lassen ihn meine Eltern nie im Leben fahren. Der Fünfundzwanzigste würde passen: wenig Verkehr und keine Lkws.«
»Ist mir recht.« Marek hatte die Zeitung wieder auseinandergerollt, durchblätterte die Klatschspalten und vertiefte sich in die Ergüsse über Pseudopromis. Somit schien das Thema erschöpft. Ich trank meine Tasse leer, pirschte mich unauffällig an den Kühlschrank heran und spähte hinein: Alles war penibel in kleinen Dosen verstaut. In einer sah ich etwas Dunkels schimmern und öffnete die sie.
Igitt! Der Geruch nach Innereien schlug mir entgegen. Hoffentlich war das für einen Hund gedacht, überlegte ich angeekelt. Da kam die Rheinländerin in mir durch: Niemals, aber auch wirklich niemals, aß ich etwas, dass irgendwelche Ausscheidungen produzierte. Ganz zu schweigen davon, dass man meiner Meinung nach nichts zubereiten konnte, dass so viele Windungen und schleimige Abgänge hatte.
Ob Raben so was toll fanden? Ich überlegte nicht lange: Dann hatte Jaru eben Pech. Lieber war ich die Fritten-Frau, als die Frau mit dem Gekröse.
Aus einer Schüssel nahm ich kalte Kartoffeln, und damit es nicht gar so armselig aussah, packte ich noch ein Siedewürstchen dazu. Ich rollte den Beutel zusammen, wollte ihn gerade unauffällig in meinen Rucksack stecken, als ich bemerkte, dass Marek mich beobachtete.
»Machst du das neuerdings öfter?«
Ich hielt in der Bewegung inne. »Eigentlich nicht. Ich-«
»Ist ja auch egal. Das geht mich nichts an.« Er hob die Zeitung hoch, um sie im gleichen Moment wieder ruckartig herunterzureißen.
»Bist du schwanger?«
Ich schnappte nach Luft und bekam kugelrunde Augen.
Mareks Gesicht färbte sich dunkelrot. »Vergiss es, war blöd von mir! Das war es doch, oder?«
»Ja, saublöd!« Ich knirschte mit den Zähnen und machte, dass ich rauskam. Den Anruf bei Timo würde ich später erledigen.
»Es reicht, wenn du um elf ins Büro kommst«, rief Marek mir hinterher.
Jetzt hatte er es doch geschafft, mir die Laune zu verderben. Ich sprang die Eingangsstufen hinunter und zog mir im Gehen die Jacke zu. Bereits auf dem Weg zu meinem Fahrrad vernahm ich das bekannte Krächzen. Jaru hatte sich an einer Stromleitung festgekrallt und krähte übermütig. Er ließ sich fallen, um wie ein Akrobat eine Rolle vorwärts zu machen.
Unglaublich, dieses Tier!
Ich rief ihm zu, dass er mich begleiten könne, wenn er nichts Besseres vorhätte, und er keckerte zur Antwort.
Ich schwang mich auf mein Fahrrad. Von Zeit zu Zeit vernahm ich seine Stimme und ich wunderte mich selbst darüber, wie glücklich mich das machte. Nur zu gerne hätte ich gewusst, wo sich sein Schwarm aufhielt.
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