Rabenblut drängt (German Edition)
wieder, wenn du möchtest.« Ohne nachzudenken, strich ich dem Tier leicht über die Brust. Er stand ganz still, gab nur einen schnarrenden Laut von sich.
» Jaruuu «, krähte er. » Jaruu, jaruu .«
»Jaru sagst du? Ist das dein Name? Soll ich dich so nennen?«
Er wackelte auf seine ulkige Art mit dem Kopf. » Jaru .«
»Also gut, Jaru. Dann bis morgen!« Ich ließ ihn zurück und sah noch im Augenwinkel, wie er sich über die Reste hermachte.
Brandmal
K atharina war nicht verärgert, als sie erfuhr, dass ich mich als Gast bei ihnen eingenistet hatte. Eingenistet - das war durchaus die passende Beschreibung für einen Raben.
Ich schlief die Nacht auf der Couch. Als ich am nächsten Morgen erwachte, schlich ich mich in das Nebenzimmer. Außer dem Grotrian-Steinweg stand noch ein runder Tisch mit zwei eleganten Sesseln in einer Zimmerecke. Die Bücher in den Regalen interessierten mich nicht. Ich wurde allein von dem Klavier angezogen. Die schwarze Oberfläche schimmerte seidig.
Ich setzte mich auf den Hocker. Behutsam stellte ich das Moderatorpedal fest und öffnete den Deckel. Wie brachte man es überhaupt fertig, ihn jemals zu schließen? Zärtlich ließ ich meine Finger über die Klaviatur gleiten.
Auf einem der Sessel lagen ein paar zusammengeworfene Notenblätter. Ich griff nach den obersten: Debussy - las ich und verwarf es angewidert. Darunter Chopin - Etüden und Nocturnen. Ich lächelte, legte sie aber vorerst beiseite. Liszt. Ungarische Rhapsodien - das war genau nach meinem Geschmack.
Ich schlug die ersten Takte der zweiten Rhapsodie an und hielt inne. Trotz Moderator würde ich Nikolaus’ Familie damit sicher aufwecken.
Da legte sich eine Hand auf meine Schulter und ich ließ ganz von den Tasten ab. »Du bist schon auf?« Meine Stimme klang atemlos.
Nikolaus schob sein Bein unter das Klavier und löste das mittlere Pedal. »Wir sind alle schon auf. Wir wollten dich nur nicht stören. Tu dir keinen Zwang an.«
»Und die Nachbarn?«
Er zuckte mit den Schultern. »Scheiß auf die Nachbarn! Die sind abgehärtet.« Er ließ seine Zähne aufblitzen, setzte sich auf den Sessel hinter mich und lehnte sich entspannt zurück.
Ich gab mich ganz der Musik hin, meine Finger sprangen wie Wassertropfen über die Tasten. Perlend und leicht und dann wieder galoppierend, wie ein temperamentvolles Rennpferd.
Die ruhigen Passagen liebte ich besonders. Die dumpfen und dunklen Töne, die auf die folgende springende Lebendigkeit vorbereiteten. Auf einmal verschwammen die Noten vor mir. Ich schloss die Augen und vergaß, die Seiten umzublättern. Es waren meine Finger, die sich erinnerten, die genau wussten, wie sie sich bewegen mussten - eigenständig und von meinen Gedanken gelöst. Sie sprangen vorwärts, hielten inne, als atmeten sie ein, trieben die Töne weiter, wechselten die Tempi, streichelten in einem Moment die Tasten, um sie im nächsten Moment kraftvoll anzuschlagen. Sie polterten hinüber und kitzelten dann einzelne Töne neckend heraus. Gänsehaut breitete sich über meine Arme aus und die Töne trillerten in meinem Innenohr wie ein Kolibri.
Als ich die letzten Noten angeschlagen hatte, schreckten meine Hände zurück, als hätte mich meine eigene Inbrunst erschreckt.
Katharina stand im Türrahmen. Nikolaus gab keinen Ton von sich. Er saß immer noch dort, wo er sich vor zehn Minuten hingesetzt hatte und warf mir einen undefinierbaren Blick zu. Dann räusperte er sich geräuschvoll.
»Weißt du, Alexej, genau dafür habe ich dich schon immer gehasst.«
Ich war irritiert. »Wofür?«
»Dafür, dass du so spielen kannst. Und das nach all den Jahren. Auch damals erstarrte alles vor Ehrfurcht in deiner Umgebung. Aber heute -«, er schüttelte fassungslos den Kopf. »Ich kann’s einfach nicht glauben. Du bist doch völlig außer Übung, außerdem hast du die letzten Wochen nur körperlich gearbeitet. Er hat Holz gehackt!«, rief er seiner Frau empört zu. »Ich fass es nicht! Ich fass es einfach nicht. Und weißt du, was das Schlimmste ist?« Er sprang auf und kam auf mich zu.
»Das Schlimmste ist: Du hast dich auch noch weiterentwickelt. Du spielst mit viel mehr Rubato als früher, du veränderst das Tempo, und ich habe das Gefühl, mein Herzschlag setzt aus!«
»Sei nicht albern.«
»Ist wirklich wahr. Ich könnte schwören, dass mein EKG bei deinen Pausen eine Nulllinie fährt.«
Ich fing herzhaft an zu lachen.
»Ich meine das ernst! Du bist viel gereifter, noch
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