Rabenblut drängt (German Edition)
blau!«
Nikolaus hielt mich fest. »Was denkst du denn? Sowas kann man doch nur im Suff machen.«
»Also, ich weiß nicht. Der sieht mir aus wie so ein College-Typ. Ich habe keinen Bock auf ’ne Anzeige.«
»Ich übernehme die Verantwortung.«
Es raschelte, als wenn ein paar Scheine die Hände wechselten, dann zerrte jemand an meinem Hemd.
»Pass nur auf, dass nichts zu sehen ist, wenn er sein Hemd anhat. Es muss völlig darunter verschwinden, okay?«
»Schon klar.«
Ich hörte ein Summen und plötzlich strahlte weißes Licht so schmerzhaft hell in mein Gesicht, dass ich die Augen zusammenkniff. Nikolaus hockte sich vor mich und zog mich zu sich heran.
»Hast du das Motiv mitgebracht?«, fragte der Mann ihn.
»Hier. Only this, and nothing more «, zitierte Nikolaus.
»Okay«, sagte der Mann, und ich konnte das Grinsen in seiner Stimme hören. »Nicht schlecht das Teil.«
Etwas Kaltes, Nasses streifte meinen Nacken. Erst kitzelte es, doch auf einmal spürte ich einen stechenden, ritzenden Schmerz zwischen meinen Schulterblättern. Nikolaus hielt mich eisern fest.
»Gleich spürst du nichts mehr. Es wird alles taub«, versuchte er mich zu beruhigen, und ich merkte jetzt schon, wie nicht nur mein Nacken, sondern auch meine Kehle taub wurde. Und dieses taube Gefühl zog sich bis in meine Stirn hoch, ließ alle meine Sinne abstumpfen.
Als es in meinem Gehirn dämmerte, lag ich flach ausgestreckt auf einer unbequemen Pritsche. Mein Kopf schmerzte, als wäre ich ein paar Mal kräftig gegen eine Fensterscheibe geflogen. In meinem Nacken pochte es grässlich. Unwillkürlich tastete ich nach hinten und berührte etwas Weiches - einen Verband?
Nikolaus hatte mich mit Wodka abgefüllt, fiel es mir ein. Und mich dann zu einem Freund geschleppt. Gott, was für ein Freund war das? Hatte der mir etwa freundschaftlich seine Initialen in den Rücken geritzt? Ich versuchte aufzustehen.
»Alles klar?«
Vor mir stand ein langhaariger Kerl, aus dessen T-Shirt muskelbepackte Oberarme herausquollen.
»Ich denke schon«, antwortete ich heiser.
»Lass den Verband noch ein paar Tage drauf, es muss noch abheilen.«
Ich schluckte mühsam.
»Ist dir etwa schlecht? Hey, Nik, komm mal her!« Er wandte sich Richtung Hintertür.
Meine Gedanken rasten. Was zum Teufel hatten sie mit mir angestellt? In dem großen Spiegel an der Wand sah ich ziemlich mitgenommen aus. Meine Haare wirr und die Haut bleich und verschwitzt. Ich griff nach hinten und zog mit einem Ruck den Klebeverband von meinem Nacken. Ein Schmerzenslaut entfuhr mir. Ich drehte mich, damit ich meine Rückseite im Spiegel sehen konnte. Mir schwindelte.
Auf meinem Rücken prangte ein Rabe.
Ein großer schwarzer Kolkrabe, der seine Flügel zu beiden Seiten fast bis zu meinen Schulterblättern ausstreckte, den klobigen Schnabel angriffslustig vorgestreckt. Er sah stark aus, kraftvoll, als beherrschte er eine eigene Welt.
Mein Magen revoltierte gegen den Wodka, den ich ihm zugemutet hatte und in meiner Brust begann mein Rabenherz zu pulsieren. Sprudelnd schoss das Blut durch meine Arterien, als hätte der Anblick des Rabenbildes eine Wunde aufgerissen.
Mein Herz blutete aus. Ich keuchte, und unter meinen Lidern flatterte es. Gleich würde ich die Beherrschung verlieren.
Ich warf einen Blick auf die Hintertür. Dort stand Nikolaus mit dem Tätowierer. Für den Bruchteil einer Sekunde überlegte ich, wie sich meine Faust in seinem Gesicht ausmachen würde. Unsere Blicke trafen sich. Der Moment löste sich in Luft auf.
Genau wie mein Körper.
Flaumfedern
D rei Tage waren vergangen, seitdem ich den Kolkraben das letzte Mal gesehen hatte. Jaru nannte ich ihn in Gedanken, weil er diese Laute so oft gekräht hatte. Langsam wurde es mal wieder Zeit für ein Wiedersehen, dachte ich ungeduldig.
Denn je mehr Zeit ich mit ihm verbrachte, desto weniger verzweifelte ich bei dem Gedanken an Alexej. Es war nicht so, dass der Schmerz, ihn verloren zu haben, weniger wog, aber es war mir, als gäbe es durch den Raben eine Verbindung zwischen uns. Wenn ich nüchtern darüber nachdenken würde, müsste ich mir diese Verbindung als Hirngespinst widerlegen, aber ich hatte beschlossen, die nüchternen Gedanken bis auf weiteres einzustellen.
Heute wollte ich meinen Bruder anrufen. Außerdem hatte ich Marek versprochen, ihm bei der Projektarbeit zu helfen. Er musste Daten auswerten, die den Einfluss des Raubtieres auf seine Beute darstellen sollten, und ich würde für
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