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Rabenblut drängt (German Edition)

Rabenblut drängt (German Edition)

Titel: Rabenblut drängt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikola Hotel
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Um allein zu leben, war er noch zu jung. Also konnte es nicht schaden, mich noch einmal genauer umzusehen, wo wir uns das erste Mal getroffen hatten.
    Jaru flog so schnell, dass ich Mühe hatte, ihn nicht aus den Augen zu verlieren. Er musste keine Rücksicht nehmen auf Wege und andere Hindernisse - ich schon. Als ich mein Rad abstellte, kreiste er mehrmals über mir, als wollte er sogar, dass ich ihm folgte.
    Marek hatte mir erzählt, dass Raben gerne in steilen, oder zumindest leicht geneigten Hangwäldern schliefen, und dass sie Fichten eindeutig bevorzugten. Fichten zu finden, war ein leichtes Spiel, da die Laubbäume inzwischen zum größten Teil kahl waren. Zwischendurch orientierte ich mich an Jaru, der weiterhin sichtbar über mir schwebte.
    Etwa zweihundert Meter vor mir wuchs eine ganze Gruppe dieser pyramidenförmigen Bäume. Die Borke war rotbraun bis grau und blätterte in dünnen Schuppen ab. Jetzt um diese Jahreszeit hatten sie große, lange Zapfen und ihre spitzen Nadeln standen deutlich ab. Ich würde keine Nester finden, das war mir klar, aber Kot- und Federspuren müssten doch zu sehen sein. Aus diesem Grund suchte ich den Boden ab.
    Über mir krächzte Jaru. Es hörte sich an, als riefe er meinen Namen. Es klang wie ›Isa‹ mit einem Blubb am Ende.
    » Isabb, Isabb «, krähte er. Vielleicht sollte ich doch langsam wieder anfangen, nüchtern zu denken.  
    Ich folgte ihm tiefer in den Wald hinein. Der Weg wurde immer steiler. Jaru flatterte zwischen den Baumkronen hindurch und landete auf einem Ast. Sollte das ein Hinweis sein? Ich warf einen kritischen Blick auf den Baum und lief einmal um ihn herum.
    Mein Herz pochte laut.
    An der Baumrinde und unterhalb der ausladenden Zweige sah ich eine Vielzahl von weißen Kotspritzern. Kleine flaumige Federn bedeckten den Boden. Ich sammelte einige Speiballen auf, die würde ich mir Zuhause genauer ansehen, und zog mein Handy aus der Tasche. Hatte dieses superteure Teil nicht ein mobiles GPS? Marek hatte mir nach meinem letzten Fiasko einen stundenlangen Vortrag darüber gehalten. Umständlich tippte ich im Menü herum und fand das richtige Programm.
    Ich klickte auf ›Standort bestimmen‹ und nach wenigen Augenblicken wurden mir meine Koordinaten angezeigt. Jetzt noch speichern. So einfach war das also.
    Jaru beäugte mich misstrauisch.
    »Damit ich wieder nach Hause finde!«, erklärte ich ihm unnötigerweise. Und damit ich diesen Ort auch wiederfinde , fügte ich im Geiste hinzu. Ich suchte mir ein gemütliches Plätzchen und holte die Futtertüte für Jaru heraus. Er kam sofort neugierig angeflattert. Jegliche Kontaktscheu hatte er verloren, seitdem er mich letztes Mal vor dem Sturz in den Abgrund bewahrt hatte. Diesmal wollte ich noch einen Schritt weitergehen: Anstatt ihm das Essen in Reichweite zu stellen, wollte ich sehen, ob er mir aus der Hand fressen würde. Ich brach ein Stück Würstchen ab und hielt es ihm hin. Er war wirklich ein helles Köpfchen, denn er kam sofort fröhlich auf mich zugetrippelt und pickte ganz vorsichtig das Stück aus meiner Hand. So ein niedlicher kleiner Kerl.  
    Gierig schlang er es hinunter. Das Ganze wiederholte ich. Dabei kam er immer näher und hüpfte mir im Eifer auf den Schoß. Ich lachte und Jaru krähte vergnügt. Jetzt hatte ich nur noch die kalten Kartoffeln für ihn, aber das schien ihm nichts auszumachen. Wir waren so vertieft in unser Spiel, dass uns beiden nicht auffiel, dass ein anderer schwarzer Schatten über uns kreiste.
    Mit einem drohenden Krächzen fiel er vom Himmel und stieß Jaru im Sturz von mir herunter. Es war ein Angriff aus heiterem Himmel. Jaru quietschte aufgeregt und flatterte wie wild umher. Der andere Rabe hob wieder ab, zog einen Kreis und stürzte erneut auf ihn hinab.
    Hoffentlich verletzte er ihn nicht! Doch er stieß nicht mit dem Schnabel nach Jaru, sondern packte ihn mit den Krallen und warf ihn um. Das war gar kein Kampf um das Futter, fiel es mir auf. Viel eher erteilte der große dem kleinen Raben eine Lektion. Jaru krächzte und nickte heftig mit dem Kopf. Als würde er sich der Dominanz des anderen unterwerfen.
    » Akii! «, krähte er laut. » Aki, Aki! «
    Der große Rabe hatte die Flügel angelegt und stakste auf Jaru zu.
    Es handelte sich definitiv um einen adulten Kolkraben. Sein Gefieder war pechschwarz mit einem stahlblauen Glanz. Das struppige Kehlgefieder spreizte sich ab und auch die Federn über den Augen hatten sich drohend angehoben. Mit seinem kräftigen

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