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Rabenbrüder

Rabenbrüder

Titel: Rabenbrüder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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Frau H. Wilhelms, Schneiden + Färben.
    Dieser Eintrag irritierte Paul in hohem Maße. Irgend etwas kam ihm an der ganzen Geschichte mit dem halbnackten Kerl faul vor, und am liebsten hätte er seine Mutter unverzüglich zur Rede gestellt. Aber wie sollte er es anfangen, ohne dabei ihre Intimsphäre zu verletzen?
    Um sich abzulenken, griff Paul nach einem Boulevardblatt. Beim unkonzentrierten Überfliegen einer haarsträubenden Story kam ihm eine neue schaurige Idee: Hatte sich die Mutter bei ihrem Frisör bloß ein Alibi verschafft, um gemeinsam mit Heiko Sommer einen teuflischen Plan auszubrüten? Im Krankenhaus war sie meistens mit ihrem gelähmten Mann allein, sie hätte ihn mit Hilfe ihres eingeschleusten Gigolos viel wirkungsvoller zur Weißglut bringen können, als es die Söhne unabsichtlich getan hatten. Erst vor kurzem hatte sie Paul gestanden, daß sie endlich ein selbstbestimmtes Leben führen wollte, war das etwa kein Mordmotiv? Vielleicht hatte der erregte Vater gar nicht wegen Achims unbedachter Worte einen weiteren Schlaganfall erlitten, sondern durch die gezielte Provokation seiner Frau.
    Paul ließ die Zeitschrift sinken und sinnierte weiter: Als Heiko Sommer für seine Dienste einen allzu hohen Preis verlangte, mußte seine Mama ihn einen Tag später ebenfalls umbringen. An diesem Punkt verwandelte sich die griechische Tragödie allerdings in eine absurde Farce, denn die Mutter war zwar dank Tai Chi gut konditioniert, konnte aber unmöglich einen muskulösen Mann erwürgen. »Alles Blödsinn«, sagte Paul laut. Zornig über die Absurdität seiner eigenen Einfälle, las er lieber den harmlosen Klatsch über europäische Königshäuser.
    Nach einer halben Stunde legte Annette ihre Halsmanschette wieder an und bezahlte. »Alla! Das ging ja wirklich flott«, sagte sie zufrieden. »Jetzt stellt sich nur noch die Frage nach angemessener Kleidung. Legt eure Mutter großen Wert auf Schwarz?«
    »Achim und ich tragen einen Trauersmoking, die Witwe geht in Weiß«, sagte Paul. »Solltest du dich ebenfalls für die Farbe der Unschuld entscheiden, dann sehen wir aus wie zwei Brautpaare.«
    Annette mußte zwar kichern, sagte aber trotzdem: »Ich denke, das ist kein Anlaß, um Witze zu reißen.«
    Bereits von weitem erspähte sie, daß die Haustür von Achim aufgehalten wurde.
    »Hinreißend siehst du aus, Kleines«, sagte er. »Du willst wohl Miss Bretzenheim werden!«
    Annette schnitt ein Gesicht, Paul verbesserte: »Sie will die schönste Braut auf dem Friedhof abgeben.«
    Es war offensichtlich, daß Achim diesen Scherz mißverstand, denn er wurde aschfahl; wahrscheinlich befürchtete er, daß Annette ihren Seitensprung bereits gestanden hatte.
    Es war Annette ganz lieb, daß es nach dem Frisörbesuch Tee und nicht den üblichen starken Kaffee gab. Es täte ihr zwar leid, sagte ihre Schwiegermutter nach einer friedlichen Plauderstunde, aber sie müsse ihren Ältesten noch mal entführen und mit Papierkram quälen. Damit es gerecht zugehe, könne Achim ja im Sommer wieder den Rasen mähen.
    Paul stand sofort auf. »Natürlich, Mama, du kannst mich immer und jederzeit einsetzen, wenn du Hilfe brauchst.«
    Eigentlich mochte Annette nicht mit Achim im Wohnzimmer bleiben, denn sie wußte immer noch nicht, ob sie ihre flüchtige Affäre fortsetzen wollte. Eine drängende Frage beschäftigte sie jedoch seit Stunden. »Du hast angedeutet, daß Paul etwas auf dem Kerbholz hat«, sagte sie. »Gibt es am Ende noch andere Weibergeschichten?«
    Kaum hatte sie den Ausdruck in den Mund genommen, als es ihr schon leid tat. Wer im Glashaus saß, sollte nicht mit Steinen werfen.
    »Es ist lange her«, sagte Achim vielsagend. Annette merkte, daß er sich mit seinen Andeutungen interessant machen wollte. Trotzdem ließ sie nicht mehr locker, um schließlich zu beklagen, daß Achim kein Vertrauen zu ihr habe.
    »Es ist längst verjährt, vorbei«, wiederholte Achim genüßlich. »Aber ich kann es nie vergessen. Paul hat mir selbst gestanden, daß er mit Mama geschlafen hat. Allerdings nur ein einziges Mal.«
    Mit offenem Mund starrte ihn Annette an. »Ich glaube dir kein Wort«, zischte sie schließlich. »Untersteh dich, je wieder so etwas über Paul zu sagen. Ich werde ihn in deiner Gegenwart darauf ansprechen, und dann werden wir ja sehen!«
    »Er wird leugnen«, sagte ihr Schwager, »und dich hassen bis in alle Ewigkeit. Amen.«
    Achim sei ein böser Mensch, sagte sie aufgebracht, so etwas könne man sich nur ausdenken, wenn

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