Rabenbrüder
als sie sich Mannheim näherten. »Dann könnt ihr dort euer Auto abholen.«
»Nein«, bat Annette, »setzt mich bitte vorher zu Hause ab, ich muß dringend aufs Klo.«
Auf dem Weg zum Saab-Autohaus waren die Brüder noch einen Moment allein. Paul nutzte die Gelegenheit, um Achim über das Gespräch mit der Mutter zu informieren. »Ein bißchen seltsam finde ich es schon, daß sie uns das Erbe glattweg verweigert. In ein paar Wochen muß ich ihr mal geduldig erklären, daß es unser gutes Recht ...«
Der Hof der Autowerkstatt war erreicht, und Achim trat heftig auf die Bremse. »Scheiße«, sagte er wütend, »du bist mir ja der rechte Unterhändler! Warum hast du sie nicht auf der Stelle festgenagelt!«
»Hab dich nicht so, unter diesen Umständen hättest du es auch nicht übers Herz gebracht«, sagte Paul verdrossen. »Außerdem kannst gerade du dich doch am allerwenigsten beklagen!«
Er stieg aus und ging auf Annettes Saab zu, der frisch gewaschen auf dem Parkplatz stand. Achim lud wortlos eine Reisetasche und ein paar Plastiktüten aus dem Kofferraum und stellte die Sachen zum Umladen bereit. Als Paul Autoschlüssel, Papiere und Rechnung aus dem Büro geholt hatte, konnte er endlich heimfahren und vergaß dabei völlig, sich bei seinem wartenden Bruder zu bedanken oder ihm adieu zu sagen.
Bruderherz
Grenzenlos erleichtert trug Paul das Gepäck in die Diele. Er war endlich zu Hause, und es war ihm nur recht, daß das Wetter nicht besser werden wollte.
Annette kam die Treppe herunter.
»Tee?« fragte sie, und Paul nickte. »Aber keine Kräuter, lieber Friesenmischung mit Kandis und Rum!«
Auch Annette war froh, der Verwandtschaft entronnen zu sein. Am kommenden Montag hatte sie einen Termin beim Arzt; vielleicht durfte sie den Gipsverband bald abnehmen und wieder Auto fahren. Morgen würde Paul sie allerdings zum Supermarkt begleiten müssen, denn es fehlten Lebensmittel fürs Wochenende.
Dann begann sie sofort, mit tatkräftiger Hand die schmutzige Wäsche aus seiner Reisetasche zu zerren. Den Smoking legte sie für die Reinigung beiseite, seinen Kulturbeutel brachte sie ins Bad. »Und was ist hier drin?« fragte sie und schleppte eine Plastiktüte ins Wohnzimmer. Paul lag zeitungslesend auf dem Sofa und sah verwundert hoch, als Annette frisches Brot, Oliven, französische Butter, eine Flasche Rotwein, Tomaten, Basilikum und eine appetitliche Käsekollektion auspackte. Sie konnte es kaum fassen und war nahe daran, ihrem Mann um den Hals zu fallen.
Paul wurde leicht nervös. »Rotkäppchen war wohl zu Besuch«, scherzte er ratlos.
Nachdem sie das gesamte Picknick vor ihm aufgebaut hatte, fischte Annette zu guter Letzt eine Karte heraus und las: Laßt es euch gut schmecken. In Liebe: Achim. Was er doch für einen aufmerksamen Bruder habe, rief sie begeistert, und Paul hörte einen milden Vorwurf aus ihren Worten heraus. Er kratzte sich am Kopf.
»Na, los«, verlangte Annette, »ruf ihn an und sag, daß wir uns riesig gefreut haben!«
»Später«, brummte Paul.
Langsam sammelte sie Stück für Stück wieder ein. Wenn er keine Lust hätte, dann würde sie sich jetzt bedanken, sagte sie und ging zum Telefon.
Achim sei mit Sicherheit noch nicht zu Hause, meinte Paul, aber seine Handynummer stehe im Adreßbuch.
»Aber warte mal, woher wollen wir eigentlich wissen, daß die Sachen für uns gedacht sind? Vielleicht hat er für Mama oder seine Freundin eingekauft, und die Fressalien sind nur aus Versehen hier gelandet.«
»Meinst du?« fragte Annette verunsichert. »Aber dann würde er seine Tüte doch vermissen und müßte erst recht informiert werden!« Ihre wiederholten Versuche blieben jedoch erfolglos. Im übrigen stand auf Achims Karte Laßt es euch gut schmecken , so daß auf keinen Fall eine Einzelperson angesprochen war.
Zwei Stunden später verzehrten Paul und Annette den gesamten Käse und tranken den Bordeaux. Obwohl beide etwas befangen miteinander umgingen, konnten sie sich doch der anheimelnden Stimmung nicht entziehen. Paul fiel ein, daß er morgen bei Olga zum Essen eingeladen war; sicherlich würde sie Forderungen an ihn stellen, denen er sich momentan nicht so recht gewachsen fühlte. Dabei stellte er verwundert fest, daß er den häuslichen Frieden noch gern einen weiteren Tag genießen würde.
Wann mochte Achim das Freßpaket vorbereitet haben? Auf einmal schämte sich Paul, daß er seinem Bruder zum Abschied noch nicht einmal die Hand gegeben hatte. In Liebe war auf der Karte zu
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