Rabenbrüder
Richtung Süden ...«
»Wohin?« fragte Saskia erwartungsvoll.
»Meine Freundin Gina abholen«, antwortete Achim. »Sie hat die Osterferien bei ihrer Familie verbracht.«
Paul fragte, wann sein Bruder zu starten gedenke, denn er wollte nach dem morgigen Abschiedsmahl möglichst bald nach Hause kommen. Wann immer es beliebe, sagte Achim charmant.
Tante Lilo hatte zugehört. »Sießholzrassbler«, meinte sie.
Man trennte sich nicht allzu spät, diesmal brachte Achim die Verwandten zum Hotel. Paul chauffierte die Mutter und nahm sich vor, unterwegs über die Erbschaft zu reden.
»Wenn doch der morgige Tag schon vorbei wäre«, seufzte sie, sobald die Wagentür zufiel. »Obwohl es guttat, euch beide hier im Haus zu haben, sehne ich mich nach Ruhe. In der nächsten Zeit möchte ich nur still am Fenster sitzen, meinen Erinnerungen nachhängen, ein bißchen aufräumen, viel schlafen .«
»Das kann ich nachvollziehen, Mama«, sagte Paul und tat sich schwer, diplomatisch zur Sache zu kommen, »es geht mir doch genauso! Wenn du dich ein paar Tage erholt hast, ist ja immer noch Zeit, um die finanziellen Dinge zu besprechen.«
»Wie soll ich diese Worte verstehen?« fragte sie leise, aber der depressive Unterton war plötzlich verschwunden.
Paul deutete an, daß ja ein Erbe anstehe.
»Was würdest du denn machen, wenn du plötzlich eine Menge Geld zur Verfügung hättest?« fragte seine Mutter mit einer gewissen Schärfe.
Paul brachte den Wagen in einer Nebenstraße zum Stehen, denn sie waren fast zu Hause angelangt. »Mama«, sagte er eindringlich, »du weißt doch, daß mein bisheriges Leben nur aus Maloche bestand. Als Pflichtverteidiger verdient man wenig und schuftet wie ein Kuli. Wie sehr habe ich mir immer gewünscht, einmal ein bißchen länger als drei Wochen Urlaub zu machen und ohne materielle Not durch die Welt zu reisen. Wenn ich alt und grau bin, macht mir das keinen Spaß mehr.«
Sie trommelte eine Weile mit den Fingerkuppen auf ihrer Handtasche herum, bis sie zu einer Entscheidung kam. »Jean Paul«, sagte sie, »du bekommst irgendwann die gleiche Summe, die ich deinem Bruder überwiesen habe, das verspreche ich. Aber seit kurzem weiß ich, daß es ein großer Fehler war. Und deswegen könnt ihr euch den Mund fusselig reden, von Papas Erbe kriegt ihr alle beide so schnell keinen Cent.«
Eigentlich wollte Paul einwenden, daß es gar nicht von ihrer Gnade abhing, wieviel sie ihren Söhnen auszahlte, sondern ein gesetzlich festgelegtes Recht war.
Doch sein Einwand wurde im Keim erstickt: »Ich täte euch keinen guten Dienst. Der eine würde nur noch faulenzen, der andere das ganze Geld verspielen.«
Bei diesem Stichwort wurde Paul hellhörig und hakte nach. Mit vielen Unterbrechungen, in denen sie sich die Schläfen massierte, berichtete seine Mutter, sie habe heute zufällig Achims Schulfreund getroffen.
»Erinnerst du dich noch an Simon? Als Junge war er häufig bei uns; inzwischen arbeitet er als Croupier in der Wiesbadener Spielbank. Da er gerade die Todesanzeige gelesen hatte, sprach er mir sein Beileid aus. Wohl aus alter Freundschaft wollte er mich vor Fehlinvestitionen warnen und hat angedeutet, daß Achim ein regelmäßiger Gast in der Spielbank ist. Inzwischen habe ich zwei und zwei zusammengezählt, und im nachhinein wird mir einiges klar. Es wäre sogar denkbar, daß mein gestohlener Schmuck .«
Paul fiel ein, wie Achim mitten in der Nacht in einem Smoking nach Hause gekommen war, wohl geradewegs aus dem Casino. Trotzdem versuchte er, seine Mutter zu beruhigen. »Arme Mama«, sagte er mit Wärme, »du machst dir wahrscheinlich viel zu viele Sorgen. Was du im Augenblick brauchst, ist eine längere Atempause. Leider muß ich am Montag wieder arbeiten, aber irgendwann sprechen wir in Ruhe über alle deine Probleme, und du wirst sehen, so manches löst sich in Luft auf.«
Aber sie war noch nicht fertig, er bekam auch sein Fett ab. »Von wegen Luft, es geht eher um eine giftige Gaswolke! Und wenn ich aus deinem Mund das Wort Maloche höre, könnte mir der Kragen platzen! Annette hat den Arm gebrochen, und du hängst noch nicht einmal deine Jacke auf oder trägst deine Tasse in die Küche. Mach dir doch nichts vor, Jean Paul!«
»Mama, du hast uns halt ein bißchen verwöhnt«, verteidigte sich Paul, aber nun hatte er es endgültig mit ihr verscherzt.
»Natürlich bin ich wieder mal schuld«, sagte sie bitter. »So ist es immer: Mütter werden für alle Fehlentwicklun-gen ihrer Kinder
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