Rabenfeuer - Die Flammen der Goettin
sich herunter. Das helle Leinenhemd und die Hose aus grauem Webstoff waren immer noch tadellos sauber. »Also gut«, murmelte er, »jetzt oder nie.« Er straffte die Schultern und ging auf das offene Tor zu.
Dort schien er bereits erwartet zu werden, denn einer der Wachmänner trat auf ihn zu. »Raven? Ich soll dich zum Fürsten bringen.« Der Mann wartete eine Antwort erst gar nicht ab, sondern drehte sich um und ging los.
Raven folgte ihm eilig, erleichtert, nicht schon am Tor abgewiesen worden zu sein. Während er dem Mann hinterherlief, sah er sich im Burghof um: Entlang der mächtigen Mauer befanden sich Stallungen, Scheunen und die Unterkünfte der Krieger sowie der Mägde und Knechte des Fürsten. Dem Tor gegenüber stand das Wohngebäude des Herrschers, ein zweistöckiger Bau, auf den die Torwache zielstrebig zulief. Im Erdgeschoss lag eine große Halle. Die Räume für die Fürstenfamilie und hohe Gäste waren im Obergeschoss untergebracht, wie er von seiner Mutter wusste.
Der Wachmann betrat den großen Saal und führte Raven zu einer prunkvollen Tafel, die an der Stirnseite des Raumes stand. Durch wenige Fensterluken fiel spärlich Tagesicht herein und es dauerte einen Moment, bis Ravens Augen sich an das Halbdunkel gewöhnt hatten.
Heron saß an der Mitte der Tafel und winkte ihn zu sich. Rasch trat Raven auf den Fürsten zu, während der Wachmann in einigem Abstand stehen blieb.
»Willkommen auf der Burg, Raven«, begrüßte Heron ihn. »Setz dich, ich habe mit dir zu reden.«
Folgsam nahm Raven auf einem Hocker gegenüber von Heron Platz. Eine Magd kam herbei, schenkte ihm Wein in einen Becher und stellte einen Korb mit warmem Brot vor ihm ab. Doch er war zu angespannt, um etwas trinken, geschweige denn essen zu können.
»Du hast mich gestern um deine Aufnahme in die Kriegergarde gebeten«, erklärte Heron, »und ich habe versprochen, dir diesen Wunsch zu erfüllen.«
Raven nickte und umklammerte mit der Hand den Becher.
»Bevor ich dir den silbernen Reif um den Hals legen kann, muss ich wissen, wie es um deine Fähigkeiten bestellt ist«, fuhr der Fürst fort. »Die anderen Männer bewähren sich nach jahrelanger Ausbildung in einer Prüfung, in deinem Fall werde ich jedoch eine Ausnahme machen. Ich werde dir einen Auftrag erteilen. Erfüllst du ihn, ist dir die Aufnahme gewiss.«
»Egal was es ist, Herr, ich werde die Aufgabe zu Eurer vollsten Zufriedenheit erledigen und mich als Euer Krieger würdig erweisen«, beeilte sich Raven zu erwidern und hoffte, das Richtige gesagt zu haben.
Heron nahm seine Worte wohlwollend zur Kenntnis. »Dann höre jetzt gut zu. Meine Pflicht als neuer Fürst ist es, mich in allen Teilen meines Landes umzusehen. Deshalb werde ich die Burg bald für einige Zeit verlassen müssen. Allerdings ist mir zu Ohren gekommen, dass Fürstin Ylda meine Abwesenheit nutzen will, um in unser Land einzufallen. Sie hält mich für jung und unerfahren und sieht es als gute Gelegenheit, die Silberminen an sich zu reißen. Späher berichteten mir, sie hätte Truppen zusammengezogen, die sich im nahegelegenen Tempel der Göttin verbergen sollen.«
»Im Tempel des sprechenden Feuers?«, wagte Raven zu fragen. Er hatte viel von diesem mystischen Ort gehört.
»Ja, der Tempel liegt an den Ausläufern der Grauen Berge, leider auf der Seite, die Ylda gehört. Vor Jahren hat die Fürstin verfügt, dass niemand aus der Herrscherfamilie der Sarwen den Tempel betreten und das Feuer befragen darf, solange bis wir ihr nicht einen Teil der Silberminen abtreten.« Heron schnaubte. »Ein gieriger Wunsch einer kalten Frau. Sie hält uns die Offenbarungen der Göttin vor, doch ich werde mich ihr nicht beugen, genauso wenig, wie es mein Vater tat.« Er blickte Raven an. »Du wirst zum Tempel reiten und die Wahrheit dieser Gerüchte überprüfen, denn ich vertraue den Spähern nicht. Du hingegen hast mein Leben gerettet, deinen Worten kann ich glauben. Beim nächsten Vollmond erwarte ich deine Rückkehr und deinen Bericht. Siehst du dich dieser Aufgabe gewachsen, Raven?«
»Ja, Herr«, antwortete Raven ohne zu zögern. »Ich kann sofort aufbrechen.«
»Das wirst du auch!« Heron sah zu der Torwache, die immer noch im gebührenden Abstand zum Tisch stand. »Raven braucht ein Pferd, einen Umhang und Proviant für mehrere Tage«, wies er den Mann an, dann nickte er Raven zu. »Enttäusche mich nicht.«
»Bestimmt nicht, Herr.« Raven neigte den Kopf, erhob sich und folgte der Torwache vollkommen
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