Rabenfeuer - Die Flammen der Goettin
er so harmlos und treuergeben, wie es auf den ersten Blick scheint?«
Der Hauptmann verschränkte die Arme vor dem Körper. »Man darf ihn nicht unterschätzen. Ich habe ihn schon einmal für tot gehalten.«
»Ja, ich weiß, es nicht unsere erste Begegnung mit Raven.«
Menwin hob die Augenbrauen. »Glaubt Ihr an einen Zufall, Herr?«
»Das ist eine gute Frage, und ich stelle mir noch eine andere: Wer hat ihm das Reiten beigebracht? Wer steckt so viel Mühe in einen Jungen aus der Grubensiedlung, dessen Schicksal das Bergwerk ist?«
»Jemand, der nicht an diese Bestimmung für Raven glaubt.«
Heron nickte grimmig. Damit bestätigte Menwin seinen Verdacht über Raven, den er dem Hauptmann allerdings nicht mitteilen würde. Der Krieger wusste ohnehin schon zu viel.
»Du kennst meine Pläne, Menwin«, erwiderte er knapp. »Sieh zu, dass bis zum Vollmond alles bereit ist!«
Mit dem Erreichen des Waldrandes parierte Raven sein Pferd zum Schritt. Erst langsam wurde ihm die Tragweite seines Unterfangens bewusst. Zum ersten Mal in seinem Leben verließ er seine Heimat, sogar sein Land. Er war auf dem Weg nach Torain, dem Reich der Fürstin Ylda. Und er hatte einen Auftrag, den er erfüllen musste.
Raven gab dem Rappen die Zügel lang und rieb sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. Hatte er sich nicht immer nach einem Leben als Krieger gesehnt? Dieser Wunsch hatte sich nun erfüllt. So groß seine Freude war, das Bergwerk hinter sich gelassen zu haben, fühlte er doch eine Spannung in sich aufkommen. Zwar hatte er seine erste Prüfung als Krieger bestanden und es geschafft, aufs Pferd zu steigen und oben zu bleiben, trotzdem durfte er sich nicht auf diesem Erfolg ausruhen. Ganz im Gegenteil, er musste überlegen, wie er am besten vorging.
Er griff nach dem Wasserschlauch, der am Sattel hing, und setzte ihn an seine Lippen. Sein Proviant würde für Tage ausreichen, aber Wasser musste er nachfüllen, auch sein Pferd brauchte nach dem scharfen Ritt etwas zu trinken. Raven sah zum Himmel und stieß einen Pfiff aus.
Es dauerte nicht lange bis Gorik zu ihm herunter flog und sich auf seiner Schulter niederließ. »Kannst du mir einen Gefallen tun und nach einem Bach Ausschau halten?«, beauftragte er den Vogel, der sich sogleich in die Lüfte emporschwang.
Raven wollte die Zügel wieder aufnehmen, doch ein Klimpern ließ ihn innehalten. Neugierig öffnete er einen kleinen Lederbeutel, den er bis dahin zwischen den Provianttaschen nicht bemerkt hatte. Er staunte nicht schlecht, als er den Inhalt erkannte: Münzen, genug, um sich auf dem Heimweg mit Essen versorgen zu können. Rasch löste Raven den Beutel vom Sattel und steckte ihn in seine Hosentasche. Dort war das Geld sicherer aufgehoben.
Nachdenklich trieb er den Rappen vorwärts. Heron hatte sich als äußerst großzügig erwiesen und er schwor sich, das in ihn gesetzte Vertrauen nicht zu enttäuschen. Er würde sich anstrengen und den Tempel besser auskundschaften als alle Späher zuvor. Wenn er in die Burg zurückkehrte, würde er dem Fürsten sogar die Anzahl der Mäuse nennen, die im Tempel der Göttin lebten.
Er beugte sich nach vorne und tätschelte den Hals des Rappen. Seine Meinung über Heron hatte sich grundlegend geändert. Damals, als er von ihm gejagt und verletzt wurde, war der Fürst noch ein unreifes Kind gewesen. Jetzt war Heron der Herrscher der Sarwen: edelmütig, freundlich und weise. Und er, Raven, würde ihm sein Leben lang treu dienen, das stand fest.
Mit Menwin, dem Hauptmann, sah die Sache leider anders aus. Hier würde er sich zurücknehmen müssen, um nicht dessen Zorn auf sich zu ziehen. Doch kehrte er erst erfolgreich aus dem Tempel zurück, würde auch der Hauptmann seine Fähigkeiten anerkennen müssen. Es hing also alles davon ab, bei seiner Aufgabe nicht zu versagen.
Goriks Krächzen ließ Raven aufschauen. Der Rabe schien einen Wasserlauf gefunden zu haben. Raven lenkte den Rappen vom Weg in den Wald hinein. Nach kurzer Zeit erreichten sie eine Quelle, die zwischen großen Steinen hervorsprudelte und Raven stieg ab. Gorik saß – stolz auf seinen Fund – auf einem der Felsen und sah zu, wie Raven und der Rappe von dem klaren Wasser zu trinken begannen. Gelegentlich tauchte der Vogel ebenfalls seinen Schnabel hinein, er schien das kühle Nass genauso zu genießen wie Raven und das Pferd.
Nachdem Raven seinen Durst gestillt und den Wasserschlauch aufgefüllt hatte, stand er auf und öffnete eine der Satteltaschen.
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