Rabenfeuer - Die Flammen der Goettin
betrachtete er die junge Seherin und sein Herz wurde schwer. Seine Gefühle für sie waren sinnlos – ja, sogar lächerlich, denn für ihre Erfüllung bestand keine Hoffnung. Trotzdem konnte er den Schmerz in seinem Inneren nicht verhindern. Zu schön waren die gemeinsamen Tage mit Kara gewesen und das Verlangen, den Rest seines Lebens mit ihr zu verbringen, stark. Doch das war nicht das, was das Schicksal für ihn vorgesehen hatte, auch wenn er es sich noch so sehr wünschte.
»Lebe wohl, Kara«, flüsterte er, die Stimme rau vom tagelangen Schweigen. Dann zog er seine Hand von ihr fort, drehte sich um und eilte hinaus.
8
Raven saß im Sattel des Rappen und blickte vom Hügelkamm auf die Tempelanlage hinunter. Waren wirklich erst fünf Tage vergangen, seit er von dieser Stelle aus den Tempel zum ersten Mal gesehen hatte? Die Zeit, die er dort verbracht hatte, kam ihm wie eine Ewigkeit vor.
Heute früh hatte er den Tempel im Strom der abreisenden Besucher unauffällig verlassen. In den Ställen hatte ein ständiges Kommen und Gehen geherrscht und durch die tief ins Gesicht gezogene Kapuze seines Reiseumhangs hatte niemand ihn erkannt. Mittlerweile stand die Sonne hoch am Himmel und sein Fehlen war vermutlich längst bemerkt worden.
Er seufzte. Es war ihm schwergefallen, fortzugehen – und das nicht nur wegen Kara. Doch der Tempel bot ihm keine Zukunft, im Gegensatz zu Fürst Heron, der ihm ein Leben als Krieger in Aussicht gestellt hatte. Und die Zuneigung, die Kara Tomins Meinung nach für ihn empfand? Raven schüttelte den Kopf. Er glaubte nicht, dass sie sich letztlich wirklich für ihn entschieden hätte. Aber wenn ... hätte er sie zur Frau genommen?
Verärgert über diese unsinnigen Überlegungen wendete er sein Pferd vom Tempel ab und galoppierte in Richtung Sarwen davon. Leider aber ging ihm Kara nicht aus dem Kopf. Sie war hübsch, freundlich und ihr Interesse an ihm war eine Wohltat für seine Seele gewesen. Andererseits konnte er sein Herz nicht an das erstbeste weibliche Wesen verschenken, das ihn nicht mit Verachtung strafte! Sobald er Herons Krieger war, würde sich sein Ansehen bei den Frauen heben und er die Auswahl unter vielen haben. Der Fürst zahlte seinen Männern einen großzügigen Sold, und wer heiraten wollte, erhielt statt der Unterkunft im Burghof eine Hütte im Dorf. Ein eigener Haushalt und ein Krieger zum Mann waren ein verlockendes Angebot, das manche Frau sicher über seinen steifen Arm und sein lahmes Bein hinwegsehen lassen würde.
Bei diesem letzten Gedanken blitzte in Raven eine Erinnerung auf. Er drosselte das Tempo des Rappen und ließ das Tier im Schritt weitergehen. Hatte Tomin nicht gesagt, die meisten Seherinnen wählten einen der Wächter zum Gemahl? Was war ein Tempelwächter anderes als ein Krieger? Vielleicht könnte er in ein paar Monaten zum Tempel zurückreiten und als Herons Kämpfer um Karas Hand anhalten ...?
Augenblicklich verzog er das Gesicht. Auf welche dummen Ideen er wegen dieser Frau kam! Was sollte er Kara denn sagen? Guten Tag, da bin ich wieder, willst du mich noch? Übrigens kann ich sprechen, stamme aus Sarwen und stehe als Krieger in Herons Diensten. Und bevor du fragst: Der Rabe heißt Gorik, ist zahm und gehört zu mir. Nach einem solchen Geständnis würde sie ihm sicherlich nicht um den Hals fallen, sondern ihn von der Tempelmauer stoßen.
Raven nahm die Zügel wieder auf und das Pferd verfiel in einen leichten Trab. Seine Zeit im Tempel, so schön sie gewesen war, gehörte der Vergangenheit an. Er würde nie wieder an diesen Ort zurückkehren. Es war das Beste, Kara ein für alle Mal zu vergessen. Denn sie würde, sobald sie von seinem heimlichen Verschwinden erfuhr, genau das Gleiche tun.
Am Nachmittag des übernächsten Tages kam Herons Festung in Sicht. Schon von Weitem fiel Raven auf, dass dort etwas nicht stimmte. Die Tore Sartains standen weit offen, Krieger gingen ein und aus und auf der Wiese vor der Burg standen Zelte und provisorisch errichtete Pferdekoppeln. Der Fürst musste Truppen aus mehreren Stützpunkten entlang der Grenze zusammengezogen haben, stellte Raven erstaunt fest, und ritt weiter auf die Festung zu.
Heron beabsichtigte, sein Reich zu bereisen. Dazu benötigte er natürlich Begleitschutz, die Anzahl an Männern erschien Raven allerdings übertrieben. Andererseits wollte der junge Fürst vor seinen Untertanen vielleicht bewusst seine Macht demonstrieren, um aus dem Schatten seines Vaters zu treten? Er zuckte
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