Rabenfeuer - Die Flammen der Goettin
Langhäusern.
Kara hielt es nicht mehr aus. Sie musste Gewissheit haben, wie es um die Verteidigung des Tempels stand. Eilig schlüpfte sie in ihre Schuhe, zog Kleid und Umhang über und verließ ihr Zimmer. Im Vorraum traf sie auf Theon und seine Frau, die ebenfalls aus ihren Räumlichkeiten gestürzt kamen, sowie auf Songan.
»Ich wollte euch drei gerade holen«, erklärte der Wächter, und Kara war noch nie zuvor so froh gewesen, ihn zu sehen. »Wir bringen alle in den Tempel, dort ist es am Sichersten.«
Gemeinsam liefen sie nach draußen, wo der Morgen bereits graute. Mütter mit ihren schreienden Kindern rannten an ihnen vorbei, und blökende Schafe, die aus einem brennenden Stall geflohen waren, sprangen verängstigt umher. Fassungslos blieb Kara stehen, doch Songan zog sie am Arm weiter.
»Die Knechte kümmern sich um die Brände«, zischte er. »Los, komm, der Hintereingang des Tempels ist bereits verbarrikadiert, wir müssen um das Gebäude herum.«
Sie eilten weiter zur großen Tempeltreppe, wo zwei Wächter sie in Empfang nahmen. Kara raffte den Rock ihres Kleides und erklomm die Stufen, während Songan seinen Schild zum Schutz vor Pfeilen über sie hielt. Am Treppenabsatz angekommen, wollte der Wächter sie zum Eingangsportal führen, aber Kara blieb stehen und drehte sich um. Von der hochgelegenen Tempelvorhalle aus hatte man einen weiten Blick über das Land – und was sie sah, erfüllte sie mit Schrecken. Die Strahlen der aufgehenden Sonne brachen sich in den Lanzen und Schwertern der unzähligen Angreifer vor den Mauern und die Fahne Sarwens flatterte im Morgenwind.
»Heron«, flüsterte Kara. Warum bloß hatte sie seine Absichten nicht im Feuer gesehen? Jetzt war es nur noch eine Frage der Zeit, bis seine Männer den Tempel einnehmen würden.
In diesem Moment barst das Haupttor. Die Fußtruppen des Fürsten stürmten herein, gefolgt von schwer bewaffneten Reitern. Sofort stellten die Tempelwachen sich ihnen entgegen. Entsetzt blickte Kara auf das Schlachtfeld vor ihr. Doch es war nicht das Sterben und Blutvergießen, das sie erbleichen ließ.
»Kara«, sprach Theon sie an, der ebenfalls stehen geblieben war, »ich weiß nicht, was Herons Absichten sind. Wenn er das Feuer befragen will, werde ich es nicht zulassen. Keinesfalls darf er erfahren, dass du die Seherin bist. Gib mir das Amulett, geh in den Tempel hinein und tausche dein weißes Gewand mit dem einer Magd.«
Kara rührte sich nicht vom Fleck. Mit aschfahlem Gesicht wies sie auf einen der feindlichen Reiter, der mit seinem Schwert einen angreifenden Tempelwächter zurückdrängte. Der linke Arm des Mannes war angewinkelt und sein Antlitz unter dem visierlosen Helm ihr nur zu vertraut. »Eine Verkleidung würde nichts nützen«, erwiderte Kara tonlos. »Dort ist Raven.«
Übelkeit stieg in ihr auf und Tränen der Wut und Enttäuschung füllten ihre Augen. Raven war Herons Krieger. Er hatte sie nicht bloß verlassen – er hatte sie verraten.
An Herons Seite schritt Raven verschwitzt vom Kampf auf den Tempel zu. Noch ehe die Sonne ganz aufgegangen war, hatten sie die Verteidigung des Tempels durchbrochen und die Anlage eingenommen. Nun standen die Wachen und Knechte des Tempels entwaffnet und von Herons Männern umgeben zu beiden Seiten des Weges. Rasch senkte Raven den Kopf. Den Anblick von Beron und Tomin könnte er nicht ertragen – falls die beiden den Angriff überlebten hatten ...
Das Schlimmste stand ihm indessen noch bevor. Oben, in der Vorhalle des Tempels, bewachten die Krieger die Frauen, Kinder und Alten, unter denen sich vermutlich auch Theon und Kara befanden. Der jungen Seherin gegenüberzutreten und den unvermeidlichen Hass in ihren Augen zu erblicken, würde nicht angenehm werden. Am liebsten wäre Raven in einem Erdloch verschwunden, um diese Begegnung zu vermeiden. Doch blieb ihm nichts anderes übrig, als gemeinsam mit dem Fürsten und seinen Beratern die Tempeltreppe hinaufzusteigen.
»Hey, Raven«, Menwin stieß ihm den Ellenbogen in die Seite, »sind die Weiber im Tempel hübsch?«
»Ja ... warum?«
Der Hauptmann grinste. »Weil wir dann doppelt Spaß mit ihnen haben werden.«
Diese Antwort traf Raven völlig unvorbereitet. Die Vorstellung, wie Menwin und seine Krieger Kara, Xalva, Edna und die anderen Frauen des Tempels schändeten, war furchtbar. Wie konnte er bloß den Frauen dieses grausame Schicksal ersparen? Fieberhaft suchte er nach einer Lösung, aber die Aussichten standen schlecht. Die
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