Rabenfeuer - Die Flammen der Goettin
einzunehmen und ihn bewusst über seine Pläne in die Irre geführt. Das war eine bittere Erkenntnis, andererseits konnte Raven wohl kaum erwarten, vom Fürsten in dessen Vorhaben eingeweiht zu werden. Zudem hatte er nicht ahnen können, im Tempel Freunde zu finden, um deren Sicherheit er nun besorgt war.
Langsam überquerte Raven den Burghof, als ihn die Erkenntnis wie ein Blitz traf: Bei dem Feldzug würde er Kara wiedersehen können. Aber zu welchem Preis?
9
Kara lag im Bett und starrte aus dem Fenster in die mondhelle Nacht hinaus. Wieder einmal war sie aus dem Schlaf hochgeschreckt, wieder einmal hatte sie von Raven geträumt. Seufzend zog sie die warme Decke enger um sich. Raven hatte den Tempel verlassen; mit dieser Tatsache musste sie sich abfinden, auch wenn es schmerzte.
Kaum war sie am Tag nach der Feuerzeremonie erwacht, hatte Xalva ihr von seinem Verschwinden erzählt. Rasch hatte sie den Kopf weggedreht, um sich ihre Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. Anfangs hatte sie noch gehofft, er käme wieder, aber inzwischen waren sechs Tage vergangen und seine Rückkehr wurde immer unwahrscheinlicher.
Warum war er bloß fortgegangen? Sie und ihre Freunde hatten darauf keine Antwort gefunden, nur Songan hatte behauptet, von Anfang an gewusst zu haben, dass auf diesen halben Krüppel kein Verlass sei. Auch Theon hatte sich nicht sonderlich betrübt über Ravens Weggehen gezeigt. Kara schloss die Augen, obgleich sie wusste, dass es keinen Zweck hatte: Der Schlaf würde sich nicht einstellen. Wie in den vergangenen Nächten würde sie bis zur Morgendämmerung im Bett liegen und darüber nachgrübeln, welche Gründe Raven für sein Fortgehen gehabt hatte. Ob ihr Verhalten daran schuld war? Hatte sie sich ihm zu sehr aufgedrängt? Sie hatte eigentlich das Gefühl gehabt, das Zusammensein mit ihr gefiele ihm ebenfalls ...
Beron hatte ihr erzählt, Raven habe sie in der Nacht nach der Zeremonie im Zimmer aufgesucht, um nach ihr zu sehen. In Wahrheit hatte sich Raven wohl von ihr verabschieden wollen. Traurig öffnete Kara die Augen wieder. Warum hatte er sie nicht geweckt, sondern sich feige davongeschlichen?
Aufgebracht trommelte sie mit den Fingern auf die Matratze. Sie war in den Tempel eingetreten, um den Heiratskandidaten ihrer Mutter zu entkommen, und nun lief der einzige Mann, der sie interessierte, ihr davon! Allerdings änderte ihr Ärger nichts daran, dass sie Raven schrecklich vermisste. Sie verspürte keinen Appetit mehr und es fiel ihr schwer, zu lächeln. Die anderen Tempelbewohner glaubten, es läge an der entkräftenden Feuerbefragung. Ihre Freunde hingegen wussten es besser. Edna hatte es auf den Punkt gebracht: »Du hast Liebeskummer, Kara.«
Sie hatte nur genickt, mit brennenden Augen und einem Kloß im Hals. Für so viele Krankheiten gab es passende Heilkräuter, warum ausgerechnet nicht für diesen Schmerz? So sehr sie sich auch bemühte, sie konnte Raven nicht vergessen – sein Bild war tief in ihrem Herzen. Beron hatte ihr versprochen, bei seinen Wachdiensten am Tor die eintreffenden Besucher und Händler nach Raven zu befragen, doch sie glaubte nicht, dass ...
Ein Flattern vor dem Fenster ließ Kara auffahren. Ein schwarzer Schatten ließ sich auf der Fensterbank nieder und verharrte dort regungslos. Trotz der Dunkelheit gab es keinen Zweifel: Es war der Rabe, den sie an dem Morgen, als sie Raven gefunden hatte, zum ersten Mal gesehen hatte. Der Vogel war seit dem Tag nach der Feuerzeremonie verschwunden – genau wie Raven. Ihr Herz machte einen Sprung. Wenn der Rabe jetzt erneut auftauchte, könnte das bedeuten ...?
Sie konnte den Gedanken nicht zu Ende bringen, denn in diesem Moment zerrissen Schreie die Stille der Nacht. Der Rabe flog davon, und Kara sprang aus dem Bett auf und stürzte zum Fenster. Die Männer der Tempelwache liefen schwer bewaffnet am Haus vorbei, die Anführer brüllten Befehle und brennende Pfeile erhellten den Himmel. Keuchend hielt sie sich am Fensterbrett fest. Der Tempel wurde angegriffen!
Dumpfe Schläge dröhnten an ihr Ohr. Der Feind versuchte, mit einem Rammbock das Haupttor niederzureißen. Sollte es ihm gelingen, wären sie verloren. Auf der Mauer konnte sie schemenhaft Tempelwachen erkennen, die mit Pfeilen und Schwertern Angreifer abwehrten, die den Schutzwall mit Leitern und Seilen zu erklimmen versuchten. Der Lärm des Kampfes nahm zu und die Schmerzenslaute getroffener Männer mischten sich mit dem Weinen der Frauen und Kinder in den
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