Rabenfeuer - Die Flammen der Goettin
aber es war von Beginn an nur dazu da gewesen, sie hinters Licht zu führen. »Dein falsches Grinsen kannst du dir sparen!«, fuhr sie ihn an. »Es wirkt bei mir nicht mehr.«
»Kara«, er hob beschwichtigend die Hand, »bitte höre mir zu.«
»Ich soll dir zuhören – nachdem dem du mir tagelang vorgespielt hast, du seist stumm?«
»Ja, denn die Dinge sind nicht ganz so, wie es den Anschein hat.«
»Nein?«, erwiderte sie zynisch. »Lass mich raten: Dein Arm und dein Bein sind nicht steif und du bist kein Krieger Herons.«
Er verdrehte die Augen. »Ich gehöre zu Heron, weil ...«
»Spar dir die Worte«, unterbracht sie ihn, »denn ich glaube dir nicht! Von Anfang an hast du mich betrogen. Du hast dich absichtlich verletzen lassen, um als vermeintlicher Knecht den Tempel ausspionieren zu können.«
»Das hätte mein Plan sein können, doch so war es nicht. Ich schwöre, ich weiß nicht, wer mich niedergeschlagen hat. Und auf die Idee mit der Stummheit und der Bewerbung als Knecht hast du mich erst gebracht.« Er rieb sich über das Gesicht. »Für deine Hilfe damals bin ich dir übrigens sehr dankbar.«
»Oh, und aus lauter Dankbarkeit wirst du mich jetzt entehren?«, höhnte sie.
»Nein, das will ich nicht.« Auf seinem Gesicht erschien ein Ausdruck, den man durchaus als gekränkt bezeichnen konnte, aber sie würde darauf nicht hereinfallen. Sie wusste jetzt, welch guter Schauspieler er war.
Ehe sie oder er jedoch weiter etwas sagen konnten, flog die Zimmertür auf und Fürst Heron stürmte mit seinem Hauptmann und vier Kriegern herein.
»Finger weg von der Frau, Raven!«, rief der Herrscher Sarwens und sah sich im Raum um, wo Raven immer noch mehrere Schritte von ihr entfernt neben dem Bett stand.
Hinter dem Fürsten erklang das hämische Lachen seines Hauptmannes. »So, wie es aussieht, hat er es noch nicht einmal geschafft, dem Mädchen die Kleider vom Leib zu reißen.« Sein Blick glitt über Ravens immer noch ordentlich geschlossenen Waffenrock. »Und auch er selbst scheint alles andere als bereit «, erklärte er abfällig. »Sein Körper hat wohl noch weitere Mängel als die offensichtlichen!«
»Genug des Spottes, Menwin«, befahl Heron und sah zum Kamin. »Komm zu mir, Seherin!«
Kara bewegte sich nicht vom Platz. »Woher wollt Ihr wissen, dass ich die Seherin bin?« Sie wandte den Kopf zu Raven. »Hat er das behauptet?«
Heron lächelte in falscher Freundlichkeit. »Nein, dein Geheimnis hat mir der Tempelherr verraten.«
»Das hätte Theon niemals getan!«
»Oh, doch. Als er noch glaubte, damit das Leben seiner Frau retten zu können.«
Kara wurde blass. »Ihr habt sie getötet?«
»Das hier ist kein Spiel, Seherin.« Herons Wangenmuskel zuckte. »Ich bin gekommen, um mehr über die Prophezeiung zu erfahren – und jeder, der sich mir in den Weg stellt, wird dafür büßen. Der Tempelherr konnte mir nicht weiterhelfen, aber er hat mir gesagt, wer es kann.»
»Ich weiß nichts von einer Prophezeiung«, rief sie, während ihre Finger hinter ihrem Rücken weiter hektisch den Kaminsims abtasteten.
»Amartus, der Hüter des Waldes, hat meinem Vater einst eine Weissagung gemacht, die ihm die Göttin eingegeben hat. Allerdings vermag der Hüter diese Prophezeiung nicht zu deuten. Im Gegensatz zu meinem Vater will ich endlich Klarheit, und dafür brauche ich dich, Schätzchen!«
Kara sah, wie Raven bei Herons Worten die Augen aufriss – scheinbar war ihm diese Prophezeiung genauso unbekannt wie ihr. Doch das war unwichtig, denn der Fürst kam nun geradewegs auf sie zu. Da ihre Hand endlich das Gesuchte gefunden hatte, zögerte sie keinen Augenblick mehr.
Sie drehte sich um und schlug mit der Faust auf einen Stein am Kaminsims, der sogleich nachgab und im Mauerwerk verschwand. Im selben Moment schob sich mit einem Knirschen eine Bodenplatte neben der Feuerstelle beiseite und gab einen schmalen Gang frei, der steil nach unten führte. Blitzartig ging Kara in die Knie, stützte sich mit den Armen ab und ließ sich in das finstere Loch hineingleiten – begleitet von den überraschten Aufschreien Herons und seiner Männer.
Kaum erreichten ihre Füße den Boden, zog sie ihren Kopf ein und tastete nach dem hölzernen Zapfen, der die Bodenplatte schließen würde. Sie musste sich beeilen, denn die Erstarrung des Fürsten und seiner Krieger würde nicht ewig währen. Zitternd fuhren ihre Finger über die steinerne Wand, aber sie fand das Holzstück nicht. Schweiß trat auf ihre Stirn, als sie
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