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Rabenflüstern (German Edition)

Rabenflüstern (German Edition)

Titel: Rabenflüstern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Schmidt
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raubte ihm fast den Verstand. Verstärkt wurde der Eindruck noch durch den Kontrast zu der dunklen, fremden Schönheit Lous. Als hätten Nacht und Tag sich entschlossen, von nun an gemeinsame Sache zu machen. Erst der dumpfe Ton, der entstand, als die Königin den stählernen Schaft des Speers in ihrer linken Hand auf den steinernen Boden knallen ließ, weckte ihn aus seinen Träumereien. Das Klimpern der zahlreichen Armreife an ihrem Handgelenk klang nach und mischte sich just mit dem Gähnen der größten Katze, die der Krieger je gesehen hatte. Sich müde reckend, stolzierte das getigerte Ungetüm von keiner Kette gehalten hinter dem Thron hervor. Jetzt war er hellwach. Hier war Vorsicht geboten. Nun beäugte er auch seine Umgebung eingehender. Überall standen zum Kampf gerüstete Frauen. In ihren Gesichtern stand offene Feindseligkeit geschrieben. 
    »Ich bin Erkentrud, Herrin aller Druden«, sprach die Königin nach einer Weile des gegenseitigen Musterns und Einschätzens. Ihre eisige Stimme akzentuierte jedes einzelne Wort. Unwillkürlich assoziierte Kraeh sie mit den Reißzähnen der Riesenkatze, die sich mittlerweile gemütlich zu ihren Füßen ausgestreckt hatte. 
    »Ich bin –«, setzte er an, doch die Königin ließ ihn nicht zu Wort kommen. 
    »Du bist am Leben, weil ich es so wollte. 
    Wie ich sehe, hast du dich gut erholt.« 
    Diesmal wartete er, ob sie noch etwas zu sagen hätte. Vom Gegenteil überzeugt sagte er endlich ein wenig patzig, er könne sich nicht beklagen. Wenn sie glaube, sie könne mit ihm umspringen, wie es ihr gefiel, habe sie sich getäuscht. Lou versuchte, ihm durch Blicke zu verstehen zu geben, er solle sich entschuldigen, aber er ignorierte sie. Was hatte er schon zu verlieren? Er war nicht eines ihrer Schmusekätzchen. 
    Eine Welle des Hasses brandete ihm entgegen, Klingen wurden halb aus ihren Scheiden gezogen. Die Kriegskrähe gab sich davon ungerührt, stand still da und starrte abwartend in die zugefrorenen Seen. Auf einen Wink hin verschwanden die Schwerter ihrer enttäuschten Trägerinnen wieder. 
    Nach dieser Kraftprobe, als solche hatte Kraeh die Situation aufgefasst, sagte Erkentrud in unverändert frostiger Tonlage: »Wie du meinst. Lassen wir also die Freundlichkeiten. Du bist einzig in dieser Welt, weil ich möchte, dass du gutmachst, was du verschuldetest. Nicht mehr fordere ich. Stimmst du zu, mir dies schuldig zu sein?« 
    Kraeh überlegte. War er ihr überhaupt etwas schuldig? 
    »Sollte ich dir und den Deinen Schaden zugefügt haben«, gab er letzten Endes nach, »werde ich ihn beheben, sofern es mir möglich ist.« 
    In bedrohlicher Langsamkeit, die Ellbogen auf den Armlehnen aufgelegt, brachte die Königin ihren Oberkörper in eine aufrechtere Position und beugte den Kopf vor, wobei der Eindruck entstand, sie wolle ihm über den sie trennenden Abstand hinweg etwas ins Ohr flüstern. 
    »Schaden? Eine Kreatur, Seher genannt, deren Seele so schwarz wie eine mondlose Nacht ist, verfügt dank dir über das mächtigste Artefakt, das je geschaffen wurde. Nein. Du hast uns keinen Schaden zugefügt. Du hast diese Erde dem Untergang geweiht!« 
    Der letzte Satz donnerte mit solcher Wut durch die Halle, dass Kraeh meinte, die ovalen Fensterreihen würden bersten. Diesmal traf ihn der Vorwurf. Sprach sie die Wahrheit? Ihr Zorn, so viel stand fest, war nicht gespielt, solch urtümliche Wildheit war nicht vorzutäuschen. Aber war es denn wirklich seine Schuld gewesen? Eigentlich hatte er lediglich gemacht, was andere von ihm verlangt hatten … Genau bei diesem Gedanken wurde ihm klar, wie falsch er mit seinen halbherzigen Gewissensberuhigungen lag. Wir sind immer verantwortlich für das, was wir tun, ob befohlen oder nicht. Der blinde Befehlsgehorsam muss gar als das schlimmere Übel gelten.  
    Er widerstand dem Bedürfnis, sich zu verbeugen, sprach jedoch in festem Ton: »Ich werde den Stein zurückbringen und seinen Träger töten. Darauf hast du mein Wort.« 
    »Schwöre!«, insistierte sie unbarmherzig. 
    »Ich schwöre es.« 
    Eine sonderbare Mischung aus Genugtuung und Sorge zur Schau stellend, lehnte sie sich wieder zurück. Geistesabwesend strich der Krieger sich durch den Bart und wollte schon kehrtmachen, als die Königin ihn ein weiteres Mal ansprach. 
    »Eben jener Seher, du kennst ihn ja nur zu gut, hat morgen zu einer Versammlung geladen. Ich verlange deine Anwesenheit. Dort wirst du dir selbst ein Bild des Ausmaßes machen können, das dein

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