Rabenflüstern (German Edition)
zunehmend kräftigerer Stimme intonierte er von Neuem das Lied, dessen Herkunft Freund und Feind verband. Es waren nicht die Verse, vielmehr das Gefühl der Einigkeit, das die Furcht vor dem nahenden Tode hinfortspülte. Aus vollen Kehlen stimmten die anderen Eingekesselten ein:
Ho, ho
Die Nacht bricht an,
schwer sind Brünne,
Schild am Mann.
Ho, ho
Die Schlacht beginnt,
Den Bullen im Krieg,
peitscht der Wind.
Und dann, ganz unvermittelt und im Nachhinein schwer erklärbar, geschah das Sonderbare jenes Tages, der in die Geschichte eingehen sollte. Obwohl sie Kameraden hatten sterben sehen, ihre ganze Mühe darauf verwandt hatten, diese aufsässige Bande genau in die Position zu bringen, wo sie nun endlich gebrochen und zusammengepfercht auf ihr Ende wartete, fielen die brisakschen Soldaten in den Gesang ein. Gemeinsam schmetterten sie die letzte Strophe, Bilder von längst vergangenen ruhmreichen Schlachten vor Augen. Selbst der Veteran vermochte es nicht, sich der Magie des Augenblicks zu entziehen. Ein Schauer jagte ihm über den Rücken, als auf einen Schlag die fast vergessenen Erinnerungen, die mit dieser Melodie unweigerlich verflochten waren, aufgewirbelt wurden. Stumm formten seine Lippen die Worte mit.
Hey, Hey
Auf zum Sieg,
Den Ork wie Vieh
ich unterkrieg.
»Auf zum Sieg!«, wiederholten alle wie aus einem Munde, die Waffen gegen einen imaginären Feind in die Höhe gestreckt, denn den eigentlichen, den realen, gab es nicht länger. Kraehs Sorge über die Anwesenheit des Orks und des Minotaurs in seiner Gruppe war dabei unbegründet. Es war kein Moment der Ausgrenzung, sondern einer der Eintracht. Ehe die Stimmung wieder kippen konnte, steckte er Lidunggrimm in die Scheide, ging auf den neuen Befehlshaber zu und streckte ihm versöhnlich die Hand entgegen. Von der Geste und seinen Gefühlen überrumpelt nahm Hegberth, wie er sich kurz darauf vorstellte, sie im Kriegergruß entgegen. Damit war, zumindest für diesen Augenblick, die alte Ordnung wiederhergestellt und die Kriegskrähe musste als Heerführer anerkannt werden. Bevor an dieser verqueren Logik Zweifel aufkommen konnten, begab sie sich gänzlich in diese Rolle, wies die verwirrt Umherstehenden an, sich um die Verwundeten zu kümmern, bloß damit sie etwas zu tun hatten und vom Nachdenken abgehalten wurden.
Sobald seine Leute abmarschbereit waren, gebot er den blind seine Befehle Ausführenden: »Reitet zurück nach Brisak und verkündet dort euren Vorgesetzten, ihr hättet uns nicht stellen können. Euren Freunden, Schildbrüdern und Familien aber sagt, dass eine Revolution im Gange ist und dass das Übel, welches der Dämon, der derzeit in unsrer Heimat herrscht, über das Land beschwört, von innen heraus bekämpft wird. In drei Jahren beim Frühjahrsfest versammeln sich alle, die den Mut haben, sich der widernatürlichen Tyrannei zu widersetzen, in Triberkh, dem Sitz der Könige von jeher.«
»Reitet jetzt und mögen die Götter mit euch sein!« Bei diesen Worten schwang auch er sich in den Sattel und die Verbände zogen, jeder dem eigenen Weg folgend, von dannen.
Nachdem sie in ein Waldstück eingebogen und außer Hörweite waren, brach Henfir in polterndes Gelächter aus. Erst da sein Brauner unter ihm zu scheuen begann, fasste er sich wieder.
»Diese Narren! Machen wir, dass wir davonkommen, bevor sie noch ihren Verstand zurückerlangen.« Er lachte erneut.
Kraeh hingegen blickte ernst, auch Rhoderik und die Übrigen teilten die läppische Ausgelassenheit des nordischen Bogenschützen nicht.
»Ich werde da sein in drei Jahren«, sagte Kraeh schlicht. Prompt erstarb die Heiterkeit des Gefährten und wich schierer Ungläubigkeit.
Nach einer Weile konstatierte er: »Großartig, freuen wir uns also, unser Dasein für drei Sommer verlängert zu haben.«
»Wenn es gut läuft«, murmelte der Zauberer, der an diesem Tag zum ersten Mal getötet hatte, zerknirscht von hinten.
Daraufhin schmunzelte auch Kraeh, während er sein Pferd vom Weg ab ins Dickicht lenkte. »Aye, ich habe aber schon einen guten Plan gefasst, dem entgegenzuwirken.«
***
Nachdem, jedenfalls dem Datum nach, der Frühling Einzug gehalten hatte, zitterte die bekannte Welt vollends in der stählernen Hand des Krieges. Der Beginn der neuen Jahreszeit war ungewöhnlich frost- und raureifreich. Fast schien es, als würden sich Pflanzen und Farben sträuben, gute Miene zum bösen Spiel zu machen.
Die Armee der
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