Rabenflüstern (German Edition)
heranwachsen zu sehen. Die hohen Männer von Brisak hatten ihm dies genommen. Kraehs von Tränen benetzte Wangen bebten. Für diese Tat würden sie bezahlen. Alles, schwor er, würde er ihnen im Gegenzug dafür nehmen.
Leicht hinkend trat Sedain neben ihn und legte den Arm um seine Schultern. Worte gab es für diese Schandtat nicht, also schwiegen sie und verabschiedeten sich still von jenen, die hier auf so grausame Weise ihr unschuldiges Leben hatten lassen müssen.
Orthan, der sich aus dem Kampf herausgehalten hatte, mahnte nach einiger Zeit, nicht zu lange zu verweilen. Fraglos stünden die Niedergemachten in Meldekontakt zu anderen Truppen. Kraeh bemühte sich, einen klaren Gedanken zu fassen, und überlegte, wie sie vorgehen sollten. Sein Plan war es gewesen, die Mörder zur Strecke zu bringen. Weiter hatte er nicht gedacht. Als Henfir nach Atem ringend berichtete, er habe Schiffe kommen sehen, stand fest, dass der Rückweg abgeschnitten war.
»Flucht nach vorne«, half Rhoderik Kraeh aus.
Sie nahmen so viele Pferde, wie sie brauchten, den Rest trieben sie in alle Winde und preschten ins Landesinnere, mitten in die Höhle des Löwen. Es waren gerade mal dreißig Mann übrig, von denen fünf verwundet waren. Einer von ihnen kippte, überanstrengt von dem schnellen Galopp, leblos vom Rücken seines Tieres.
Bald pflügten die Hufe brachliegende Felder, die sich weit bis zu den Berghängen hinstreckten, wo der Boden unfruchtbarer wurde. Zwei ebenfalls berittene Einheiten hatten sich, seit sie die Flussregion verlassen hatten, an ihre Fersen geheftet. Die eine wurde von einer Gestalt in schwarzer Robe angeführt. Aus der Entfernung, die sich zusehends verringerte, mutete sie wie der Seher an, bevor er den Stein in seinen Besitz gebracht hatte. Offensichtlich war die Falle durchdachter, als Kraeh zunächst angenommen hatte. Als sie am Abend die Ausläufer des mächtigen Gebirges vor ihnen erreichten, waren Pferde und Reiter erschöpft. Eine Rast konnten sie sich dennoch nicht erlauben. Mittlerweile hatten sich die Einheiten in ihrem Rücken zusammengeschlossen. Sedain schätzte ihre Zahl auf hundertfünfzig. Die Schlinge um ihren Hals zog sich zu, sie mussten handeln.
»Henfir, Rhoderik«, rief Kraeh den beiden aus dem Sattel zu, als sie die Mündung eines Passes erreichten, der sich, von überhängenden Bäumen verdunkelt, in die Berge fortsetzte. »Haltet sie auf. Wir treffen uns am höchsten Punkt.«
Umgehend schlugen sich die zwei mit einer Handvoll Männer, die gleich ihnen Bögen mit sich trugen, in die Büsche. Der Rest, verlangsamt durch die Verwundeten, trieb die an ihre Grenzen der Belastbarkeit gehetzten Pferde den Hang hinauf.
Sie mussten nicht lange warten, bis die kleine Nachhut wieder zu ihnen stieß. Zwei Männer hatten sie verloren. Kraeh hatte gerade eine Schlachtlinie organisiert, aber da sie nur wenige Schilde bei sich hatten, wirkte sie wenig hoffnungsvoll, zumal die Gegner auch schon mit beinahe ungebremster Geschwindigkeit, vertrocknetes Laub aufwirbelnd um die Biegung des Hohlweges fegten. Immerhin waren die Hänge zu beiden Seiten steil genug, dass die Verfolger nicht sofort in der Lage waren, sie zu umzingeln, was zu einer schnellen Niederlage geführt hätte. Aber auch so standen ihre Chancen schlechter denn je. Hinter ihnen erstreckte sich zwar die weite, offene Flur eines Hochplateaus, doch keiner hatte mehr die Kraft für einen heilvollen Rückzug.
Um den Kämpfern Mut zu machen, stimmte Kraeh ein altes brisaksches Kriegslied an. Rhoderik und die Übrigen, die es nicht kannten, fielen ab der zweiten Wiederholung des Refrains lautstark ein. Als die Angreifer die eigenen Zeilen aus den Hälsen ihrer Feinde hörten, stutzten sie. Ihr Zaudern schwand jedoch schnell unter den kreischenden Anfeuerungen des Schattens, der offensichtlich die Befehlsgewalt innehatte. Er hieß sie absteigen und ihrerseits einen, wesentlich eindrucksvolleren, Schildwall bilden. Eine kleinere Ausgabe des alten Stierbanners flatterte über ihren Köpfen, als ein Windstoß durch den Passweg heulte und die Soldaten zwang, sich dagegenzustemmen. Weil die Rundschilde dem Zug mehr Fläche boten, hoben sie diese leicht an. Diese Gelegenheit nutzten die in die Ecke Gedrängten. Sie preschten nach vorn und hieben in die ungeschützten Stellen. Auf Kraehs Kommando teilte jeder zwei Streiche aus, dann ließen sie sich wieder zurückfallen. Sedain und Henfir versuchten währenddessen am Hang kraxelnd,
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