Rabenflüstern (German Edition)
Sedain böse hinzu.
Ein knapper Blick in die kalte Miene des Halbelfen genügte, sich für die erste Variante zu entscheiden. Glücklicherweise, denn Kraeh verabscheute Folterungen. Er hätte sie selbst jetzt nicht zugelassen, obwohl sie die Informationen, die der Mann ohne weitere Maßnahmen preisgab, bitter nötig hatten. Er wusste nicht allzu viel, doch genug für einen guten Anfang. So waren ihm die Standorte mehrerer Kornspeicher und Viehherden, von denen regelmäßig große Fuhren über den Rhein geschickt wurden, bekannt. Nachdem er alles ausgespuckt hatte, wurde ihm ein Dolch gereicht und er nahm sich, beim dritten Anlauf, selbst das Leben.
Tags darauf brachen sie auf. Ihr erstes Ziel war eine unweit grasende Rinderherde. Den Dörflern hatten sie geraten, sich in die Berge zurückzuziehen, wie sie es im Folgenden noch oft tun sollten.
Mit zunehmendem Erfolg wuchs auch die Zahl ihrer Anhänger. Nach den ersten gewonnenen Scharmützeln gewannen die Bauern an Zuversicht und Tatendrang. Immer wieder schlugen sie zu, plünderten Vorratskammern und sandten, was sie nicht brauchten, in die Berge oder brannten einfach alles nieder, wenn sie dafür keine Zeit hatten. So oder so, danach flohen und versteckten sie sich. Niemals stellten sie sich gegen gleich starke Truppen. Bald schon wurde aus dem eher harmlosen Ärgernis über Kraehs Flucht eine ernst zu nehmende Gefahr. Boten berichteten von ersten Desertionen und immer mehr Dörfer wurden verlassen, weil Niedswar, ohne Zweifel tobend über die Entwicklungen, sich veranlasst fühlte, den Bewohnern auch noch das Lebensnotwendigste zu nehmen, um den Nachschub in die Feindeslande, die wenig hergaben, zu gewährleisten. Das unzumutbare Schröpfen der Bevölkerung steigerte selbstredend den Hass gegen die Krone und das Unverständnis hinsichtlich des Krieges in fernen Ländern. Am Ende des Sommers hatte sich die Lage derart zugespitzt, dass Bran mehrere Hundert Mann abkommandierte, die Verhältnisse zurechtzurücken. Aus Kraeh war eine Legende geworden. Wo sie auch einkehrten, wurden sie jubelnd als Befreier der Rheinlande gefeiert. Als sie eine Stadt namens Albenheim, bekannt für ihre Webkunst, von einer vorgelagerten Garnison befreiten, überreichte der Stadthalter ihnen gar ein eigenes Wappen: eine weiße Krähe, deren Krallen ein goldenes Kreuz zerquetschten.
Die Truppenstärke hatte die Fünfhundert überschritten. Einerseits waren somit größere Operationen wie die vor Albenheim möglich, andererseits aber ließ sich damit die bewährte Taktik auf Dauer nicht fortführen.
Als die ersten Herbstwinde über Felder und Wiesen fegten, beschlossen sie, das weitere Vorgehen zu beraten.
An einen Baum gelehnt, hörte Kraeh den verschiedenen Sprechern, die er allesamt für besondere Verdienste zu Hauptleuten erklärt hatte, nur halb zu. Der Zeitraum von drei Jahren war aus der Luft gegriffen gewesen. Mit mehr Glück als Verstand hatten sie gerade mal ein halbes hinter sich gebracht. Würde man sich ihrer in dieser fernen Zukunft noch erinnern? Womöglich war der Krieg bis dahin vorbei …
»Wir müssen kämpfen!«, rief gerade ein Mann aus, der noch vor zwei Monden nichts außer dem Bestellen seiner Felder im Sinn gehabt hatte. Nun schützte ein Lederharnisch seine Brust und an seiner Hüfte baumelte ein langstieliges Beil.
Einige Tage zuvor hatte Brans Verstärkung den Fluss überquert. Nach einem kurzen Schwenk über die Hauptstadt waren sie sogleich in ihre Richtung geschickt worden. Marodierend zogen sie durch die Dörfer der Gebirgsausläufer und knüpften dabei jeden auf, der im Verdacht stand, die Weiße Schar, wie man sie mittlerweile getauft hatte, zu unterstützen. Orthan, dem es zumeist gelang, die Männer durch seine einleuchtenden Argumente von allzu gewagten Aktionen abzuhalten, ergriff das Wort.
Überzeugt, ihm werde auch diesmal etwas einfallen, gab Kraeh sich wieder seinen Träumereien hin. Wie es Heikhe wohl ergangen war? Nicht mehr lange und sie hätte das heiratsfähige Alter erreicht. Der Abschied in Erkenheim war kurz und ohne größere Gefühlsausbrüche vonstattengegangen und doch galten jede Nacht vor dem Einschlafen seine letzten Gedanken der mutigen Königstochter, vor allem aber der Drudenkönigin. Lou hatte er bewundert für ihre Härte und nicht zuletzt hatte ihr makelloser Körper einen bleibenden Eindruck hinterlassen … Für Erkentrud jedoch empfand er anders. Immerzu sah er ihr lächelndes Gesicht vor sich,
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