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Rabenflüstern (German Edition)

Rabenflüstern (German Edition)

Titel: Rabenflüstern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Schmidt
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obwohl er sich nicht einmal sicher war, ob sie bei ihrem letzten Treffen tatsächlich gelächelt hatte, ob er sie jemals hatte lächeln sehen, ob sie dazu überhaupt imstande war. »Möge die Göttin über dich wachen«, hatte sie ihm ins Ohr gehaucht. Dachte sie zuweilen auch an ihn? Einmal hatte er Sedain davon erzählt. Die Reaktion war absehbar ausgefallen und hatte lediglich in einer Warnung bestanden. Diese Frau, hatte er gesagt, sei die einzige auf der ganzen Welt, die nicht für ihn infrage käme. Vielleicht hatte gerade diese Einschätzung seine Begierde derart angestachelt, vielleicht aber auch nicht und sie waren, wie Barden die alten Liebeleien besangen, vom Schicksal füreinander bestimmt. 
    »Sag du es ihnen, Kraeh!«, unterbrach der Magier seinen Gedankengang. 
    »Nein«, bemerkte er schlicht. »Diesmal stimmen wir ab. Alle wissen, welche Gefahren eine offene Feldschlacht birgt. Wir setzen damit alles aufs Spiel, falls wir aber gewinnen, muss Bran seinen Eroberungszug abbrechen oder Hunger und damit auch Krankheit riskieren.« 
    Heftiges Geraune entstand, auf diese unbekannten Töne hin. Orthan wirkte entsetzt. Die Miene des Halbelfen hingegen war ausdruckslos wie eh und je. Bei der Abstimmung, die folgte, hob sich sein Arm mit der Mehrheit für eine schnelle Entscheidung. Allerdings erst, nachdem er manch einem versichert hatte, dass ihm keine Bestrafung drohe, falls sie ihre Stimme ›falsch‹ abgaben. 
    Am nächsten Morgen begannen die Vorbereitungen. Sie besprachen Taktiken und verschiedene logistische Probleme. Vor allem aber machten sie sich daran, den Ort auszuwählen, an dem sie den feindlichen Truppen am vorteilhaftesten entgegentreten konnten.  
     
    *** 
     
    Zwei von dichtem Forst bewachsene Hügel sparten in ihrer Mitte eine morastige Fläche aus, groß genug, Schilderwälle einander begegnen zu lassen. Es war der vierte Platz, den sie am heutigen Tage begutachteten. 
    »Die Brisaksche Armee würde von Osten anrücken …« 
    »… und hätte damit, wenn wir die Schlacht bis zum Abend hinauszögerten, die Sonne in den Augen«, führte Kraeh den Gedanken des Halbelfen zu Ende. 
    Rhoderik, der ein knielanges Kettenhemd über seinen abgetragenen Waffenrock gezogen hatte, um seinen alten Körper an das Gewicht zu gewöhnen, nickte und stocherte mit einem Stock im Boden herum. »Die Erde hier ist feucht.« Er begutachtete das leichte Gefälle, das die Gras- und Schilffläche bildete, und schloss: »Weiter unten hätte ein Mann Schwierigkeiten, festen Stand zu finden.« 
    Auch Henfir schien überzeugt. Er wies auf eine kahle Stelle am rechten Hügelkamm, die möglicherweise durch Blitzschlag entstanden war, und meinte, dort wäre ein guter Platz für die Bogenschützen. Trotz des milden Wetters, lediglich ein leichter Nieselschauer hatte den frühen Herbsttag ein wenig abgekühlt, fröstelte Orthan. Er gab ebenfalls seine Zustimmung. Noch immer war er beleidigt, weil Kraeh die Hauptleute hatte mitentscheiden lassen. In einem langen Zwiegespräch, das sie in der vorangegangenen Nacht geführt hatten, war er nicht von seiner Meinung abzubringen gewesen, dass jedwede militärische Organisationsform einer strikten hierarchischen Ordnung bedürfe. Er hatte den Krieger einen idealistischen Träumer genannt, aber eingeräumt, inständig zu hoffen, dass er nach dem Ausgang nicht dazu gezwungen war, Kraehs Hirngespinste zu verfluchen. Immerhin hing ihrer aller Leben davon ab. 
    »Also gut«, sagte Kraeh, »hier werden wir kämpfen.« 
    Am Mittag darauf waren die Vorbereitungen abgeschlossen. Fünfhundertdreißig Mann, meist ehemalige Bauern, einige Veteranen und Deserteure sowie die wenigen Verbliebenen, die mit Kraeh, Sedain, Rhoderik und Henfir damals den Rhein überquert hatten, warteten am ausgesuchten Ort. Ein kleiner berittener Trupp wurde ausgeschickt, die feindliche Streitmacht zu ihnen zu locken. 
    Diese Momente haben eine merkwürdige Eigenart. Der einfache Soldat wartet die ganze Zeit, in der Hoffnung, dass endlich etwas geschieht, und wenn es so weit ist, kommt die Furcht, dann fragt er sich, weshalb er eigentlich noch kurz zuvor so begierig darauf gewesen ist. 
    Ein Signalhorn ertönte und kurz darauf sprengten die Lockvögel am Rand des Feldes auf sie zu. Hinter ihnen erschienen die ersten Reihen der gegnerischen Kämpfer. Kraeh war solche Situationen gewohnt, sein Blick war kalt wie der Wind, der das Banner und die Haarmähnen zum Flattern brachte, auf die ansteigende Zahl

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