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Rabenflüstern (German Edition)

Rabenflüstern (German Edition)

Titel: Rabenflüstern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Schmidt
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dabei riskant über die Kante. 
    »Der Kleine!«, pfiff Kraeh ihr überflüssigerweise zu. Ein vollbärtiger Matrose reichte den drei Kriegern Krüge und eine Karaffe voll Wasser. Erst goss er sich selbst, dann ihnen ein. 
    »Was wird das?«, fragte er, den Blick auf den Ausschnitt der Bluse gerichtet, die der Kapitän ausgegraben und dem neuen Kindermädchen vermacht hatte, ohne ein Wort des Dankes dafür zu ernten. Nur der rote Streifen um ihren Hals, wo der Ring gelegen hatte, zeugte noch von ihrer Gefangenschaft »So ’ne Art erotische Komödie?« 
    Alle lachten. »Wie wäre es mit einer kurzweiligen Tragödie?«, fauchte sie feurig zurück, das kleine Mädchen vor sich vergessend. 
    Kraeh schoss ein Gedanke durch den Kopf. Er erhob sich. Nur noch selten spürte er die Blessuren, die er von dem Kampf mit Gorka davongetragen hatte. Lediglich ein leichter Druck auf der Brust war zurückgeblieben. Schlendernd kam er auf die Frau zu. Einige Schritte von ihr entfernt blieb er stehen. »Mir fielen da noch ganz andere Dienste ein, mit denen du dich hier, vor allem bei den Soldaten, beliebt machen könntest …« 
    Jetzt nahm sie dem Mädchen doch den Dolch ab und wog ihn sacht in der feingliedrigen Hand. »Jau«, stimmte der Bärtige von hinten zu. »Die einsamen Seeleute nicht zu vergessen!« 
    Der Krieger lächelte böse. »Siehst du?« Sie genau in Augenschein nehmend, führte er mit lüsternem Tonfall aus: »Deine Brüste sind straff, die Taille eng, nur dein Hintern ist eher mittelprächtig, aber …« Weiter kam er nicht. Ihre Hand zuckte vor und schleuderte die kleine Klinge durch die Luft. Sie beschrieb zwei Drehungen und blieb schließlich zitternd in dem Becher stecken, den Kraeh in Schritthöhe vor sich hielt. Unbeirrt trat er weiter auf sie zu. »Was man als Schmied nicht alles lernt?«, flüsterte er ihr ins Ohr. Mit einem Ruck zog er das Messer aus dem Trinkgefäß und reichte es Heikhe. 
    Der Schock über ihren unbeherrschten Ausfall war ihr deutlich anzusehen, doch sie fasste sich schnell wieder. »Das nächste Mal wird es keinen Becher geben.« 
    Grob riss sie sich von dem irritierten Mädchen los und lief zu Gunther. »Ich habe dir schon tausendmal gesagt: Du sollst dich nicht zu weit hinauslehnen!« 
    Heikhe starrte mit großen Augen ihr Kindermädchen an, während Kraeh sich abwandte und zu den faulenzenden Männer zurückging. 
    »Zucker, die Kleine«, kommentierte Sedain und meinte damit nicht Heikhe. Rhoderik hingegen blickte finster drein. 
     
    Als der Abend nahte, verdunkelten schnell aufziehende Wolken den Himmel, doch es war noch immer angenehm warm. Auf der Steuerbordseite, erklärte Thorwik, beginne nun das kleine Fürstentum Mont. In violettes Licht getaucht konnten sie bebaute Felder ausmachen. 
    Die größten Gefahren – zumindest die, von denen sie wussten – lagen damit hinter ihnen. Sie hatten beschlossen, diese Nacht nicht an Bord des Schiffes zu verbringen. Kraeh stand am Bug der Fraja , Gunther auf den Schultern. Heikhe hockte vor ihm, und gemeinsam hielten sie Ausschau nach einer geeigneten Anlegestelle. Die Kinder waren glücklich, für voll genommen zu werden, und Kraeh war ebenfalls guter Laune. Hier, weit entfernt von Berbast und Bran, waren sie ihre eigenen Herren. 
    »Wem gehört das Land?«, fragte Heikhe neugierig und zeigte auf das linke Ufer. Der Krieger inspizierte das wiesenreiche Gebiet, wo der Wind sanft durch Pappelblätter fegte. »Ein Land gehört niemandem, es gibt nur Verwalter, die, wenn sie gut sind, wissen, dass die Erde sich selbst gehört und es ihre Aufgabe ist, jene, die auf ihr leben, zu schützen.« 
    »Und wer ist der Verwalter?«, beharrte Gunther auf der Frage seiner Schwester. Der Krieger bastelte aus Erzählungen, die ihm gefielen, eine Wahrheit zusammen. »Es ist wild. Niemand erhebt Anspruch darauf …« Ein Dorf, das sich in einer felsigen Biegung befand, tauchte auf und ließ ihn innehalten. 
    »Dort will ich hin«, sagte der Junge emphatisch. 
    »Lasst es uns erst mal genauer ansehen«, bremste ihn Kraeh. Langsam dümpelte ihr Schiff an den wenigen Häusern vorbei. Alle bis auf zwei waren aus Lehm erbaut, die Dächer mit Reisig und Stroh gedeckt. Die Ausnahmen bildeten ein rundes Versammlungshaus und eines, das offensichtlich eine Schenke darstellte. Kraeh stellte sich vor, wie die Bewohner bei dem Sturm von neulich, dicht aneinandergedrängt, Schutz in den beiden Steinhäusern unter ihren Holzdächern gesucht hatten. Es

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