Rabenflüstern (German Edition)
Sitzkreis versammelt hatte. An einem Spieß drehte man mehrere Hasen über einem knisternden Feuer. Sie reichten sich die Hände und die Soldaten mischten sich unters Volk. Als mit Birkenwein gefüllte Hörner und Krüge kreisten, wurden Geschichten ausgetauscht und Lieder gesungen. Heikhe und Rhoderik tanzten vergnügt zu einer Laute, während Gunther sie gemeinsam mit Lothar auf einer Trommel begleitete. Es wurde gegessen und getrunken. Eine heitere Feier im Auge des Sturms, dachte Sedain, der etwas abseits mit einem Horn in der Hand auf einem Stein saß. Sein Kopf fühlte sich schwer, sein Geist benommen an, obwohl er nicht viel getrunken hatte.
Vom Tanzen nass geschwitzt, ließ sich Heikhe neben ihren Bruder auf eine Felldecke fallen. Sie zwinkerte ihrem entrückt lächelnden Bruder zu und fragte Lothar, der gerade eine Pause einlegte: »Wieso gibt es hier eigentlich keine Frauen?« Sedain hörte es und erwachte aus seinen Träumen. Wo war das Kindermädchen? Der Schnurrbärtige deutete auf zwei alte Weiber, um die sich trotz ihres mütterlichen Äußeren einige Soldaten geschart hatten. »Und Kinder?«, stimmte Gunther zu, als misstraute er der stummen Antwort, wobei er ebenfalls von der Trommel abließ.
Sedain schwante Übles. Wie konnten sie so blind gewesen sein? Er begab sich neben dem Caerführer in die Hocke. »Welchem Herrn ist dieses Dorf verpflichtet?«, fragte er unverblümt. Ein Mann, der schon gut über den Durst getrunken hatte, kicherte blöde. »Welchem Herrn?« Er nahm einen tiefen Schluck, dass ihm der Met klebrig über die stoppeligen Mundwinkel lief. »Seid ihr von vorgestern? Das Reich der hohen Königin wächst. Ihr befindet euch im Drudenland!«
Kraeh hatte den Waldrand erreicht und guter Laune betrat er den lichten Forst. Von den ehrwürdigen Eschen und Eichen ging die Ruhe aus, nach der er wohl eigentlich gesucht hatte. Die Stimme, die er zu hören geglaubt hatte, musste schlicht seinem inneren Bedürfnis entsprungen sein. Eigentlich hatte er nicht vorgehabt, tief in den Wald vorzudringen, doch ohne darüber nachzudenken, setzte er immerfort einen Fuß vor den anderen und vergaß allmählich die Zeit. Durch die Kronen der Bäume waren die Sterne zu sehen. Vögel zwitscherten und seine Fantasie beteiligte sich an ihren Gesprächen. »Sieh nur, es ist Kraeh«, pfiff eine Amsel. »Lauf, lauf«, mischte sich ein Rabe heiser dazu.
Ohne Hast ging er dem Abendstern entgegen, eingehüllt von den Geräuschen der einsetzenden Nacht. Alles lebte, huschte, hielt Ausschau, schlich durch das Laub, und Kraeh erfreute sich, ein Teil davon zu sein. Er fühlte sich nicht als Eindringling, vielmehr als willkommener Gast.
Auf einer von Birken umsäumten Lichtung verlangsamte er seinen Gang. Ihre grauen Rinden reflektierten das Licht der Sterne. Es war ihm, als hielten sie Wache. Ja, sie bewachten einen Stein, der in ihrer Mitte lag. Es war ein gewöhnlicher Felsbrocken, etwa von der Größe und Höhe eines zusammenkauernden Menschen; nichts deutete auf eine Besonderheit hin. Und doch ging von ihm eine gewisse Anziehungskraft aus.
Kraeh lehnte sich mit dem Rücken an ihn und streckte die Beine aus. Müdigkeit umfing ihn angenehm wie ein weiter warmer Mantel, und für einen kurzen Augenblick schloss er die Augen. Zumindest glaubte er das.
Aber als er sie öffnet, ist es stockfinster um ihn herum. Die Sterne sind wie ausgelöscht und eine unglaubliche Schwere lastet auf seinen Gliedern. Er versucht aufzustehen, kann sich aber nicht dazu überwinden. In die Schwärze dringt ein diesiger Hauch, der nach frisch gemähtem Gras schmeckt, hüllt ihn ein und vernebelt seine Sinne.
Zwei Gestalten kommen aus grünlichem Dunst auf ihn zu.
Bald zeichnet sich ab, dass es sich um zwei merkwürdige Wesenheiten handelt. Die Linke ist breitschultrig, gehörnt und hat einen vorsichtigen, aber irgendwie ungelenken Gang. Es sind Bocksbeine, wird dem Krieger klar. Die andere ist von schlankerer Form. Sie wirkt geschlechtslos, ihre Haut ist weiß wie junger Schnee im Morgenlicht. Ein beinahe grelles Leuchten geht von ihr aus, scheint aber von der augenscheinlich älteren Kreatur absorbiert zu werden. Ein rätselhafter Flötenton begleitet ihre Schritte. Als würden Licht und Schatten im selben Moment existieren, denkt Kraeh. Er muss sich hüten, ihre Gegenwart wirkt paralysierend. Mit einer matten Armbewegung vergewissert er sich des Schwertes, dessen Griff über seine Schulter ragt.
Der
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