Rabenflüstern (German Edition)
die Eingeschlossenen. Sedain sah ihn auf sich zukommen, kniete nieder und zog eine Armbrust hervor. Der Bolzen fraß sich in seinen Unterleib und verwandelte den Angriff in ein überraschtes Taumeln. Siebenstreich rammte die lange Klinge in seinen Bauch, riss ihn von den Füßen und Leid gab ihm schließlich den Rest. Der Kopf des Nordmannkönigs flog in hohem Bogen durch die Luft und landete in den Reihen der Überlegenen. Aber so fühlten sie sich nicht mehr. Als sie sahen, wie ihr König in Stücke gehackt worden war, bekamen sie es mit der Angst zu tun. Aus den Mündern seiner Mörder erklang ein schallendes Lachen, was den Willen der Nordmänner endgültig zum Einsturz brachte. Thorwald hatte es geflissentlich unterlassen, ihnen vom Verlust der Schiffe zu berichten, und so suchten sie ihr Heil in der Flucht. Weshalb sich in diesem fremden Land voller Wahnsinniger abschlachten lassen, während zu Hause ihre Familien auf sie warteten? Die meisten allerdings fanden den Tod schon in dem chaotischen und führerlosen Rückzug. Die wenigen, die entkommen konnten, hatten ihre Waffen weggeworfen, damit der schwere Stahl sie beim Laufen nicht behinderte. Noch bevor jene die Küste erreichten, holte sie der kümmerliche Rest der dänischen Reiterei ein. Sie sollten ihre Heimat nie wiedersehen und auch die Tore Walhallas würden sie wegen ihrer Feigheit verschlossen vorfinden.
Und so war der Krieg schließlich vorüber.«
Hegferth unterdrückte ein Gähnen. Die Finger Kailas spielten im Halbschlaf mit den Haaren des Greises. Der Weg zu seiner Hütte schien ihm heute zu fern. Ausgelaugt ließ er seinen Oberkörper zurückgleiten und sank sofort in einen traumreichen Schlaf.
Am nächsten Morgen erwachte der Alte allein. Sein nächtliches Auditorium hatte das Ratsgebäude noch vor den ersten Sonnenstrahlen verlassen. Jeder, selbst die Kinder, wussten ein klar zugewiesenes Tagwerk zu verrichten, nur er war bar jeder Aufgabe. Müde reckte und streckte er die abgenutzten Glieder und Gelenke. Ein stechender Schmerz fuhr ihm in den Rücken. Das Nagen des Zahnes der Zeit war in jedem Körperteil zu spüren, doch nachdem er sich eine Tasse Tee aufgebrüht und die Kamille seinem vom Reden heiseren Hals wohlgetan hatte, fühlte er sich frisch genug für einen Spaziergang.
Unweit des Dorfes setzte er sich an einem Bachlauf nieder ins morgentaufeuchte Moos und legte sich, den Blick im plätschernden Gewässer versinkend, die Worte zurecht, die in zwei Tagen seine Geschichte weiterspinnen sollten.
***
Der dritte Tag nach der großen Schlacht vor den Toren Skaarbroks neigte sich seinem Ende zu. Fahl fiel das Abendrot in die bunte Halle, in der ungewöhnliche Stille herrschte. Viele waren gefallen und beinahe jeder der Anwesenden hatte Freunde oder Angehörige zu beklagen, und so war, trotz des errungenen Sieges, niemandem nach Feiern zumute. Siebenstreich thronte nicht auf dem ihm angestammten Platz, sondern saß neben Kraeh, Lou und den anderen an einer der spärlich besetzten Tafeln. Sein Königreich war gerettet, aber er hatte einen hohen Preis bezahlt. Ganz Skaarbrok hatte sich in ein Krankenlager verwandelt. Die Schmerzenslaute der Verwundeten drangen bis in die bunte Halle und kein Barde spielte auf, sie zu übertönen. Über das Ende des Spielmannes und Dichters, der sich Kraeh verpflichtete hatte, kursierten Gerüchte, doch Siebenstreich überhörte sie geflissentlich und sollte niemals danach fragen. Die Stirn in Falten saß er müde da und sprach nur, wenn es sein musste.
»Wollt ihr ewig Trübsal blasen?«, warf Sedain in die niedergeschlagene Runde. »Wir haben gewonnen. Kein Nordmann wird es wagen, in diesem Zeitalter noch einmal einen Fuß auf diese Ländereien zu setzen.«
Heilwig, der Berater und Flottenkommandant wider Willen, sah ihn bestürzt an und wollte Einspruch erheben, doch Rhoderik kam ihm zuvor: »Sedain hat recht. In Kriegen sterben Menschen. Wir alle haben gewusst, dass es so kommen würde. Ehren wir die Toten mit einem Fest und schmälern ihren Ruhm nicht durch unsren Kummer.«
Der König nickte. »Ein Jahr und einen Tag solltet ihr unter meinen Diensten stehen.« Er fand Kraehs Augen. »Wenn der Mond voll ist, habt ihr einen Viertel eurer Pflicht getan. Bis dahin können viele Wunden heilen. Den Rest eurer Zeit an meinem Hof leiten wir mit einem Freudenfest ein. Von nun ab fordere ich nur noch eines von euch, ihr mächtigen Krieger, seid glücklich! Genießt den Frieden,
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