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Rabenflüstern (German Edition)

Rabenflüstern (German Edition)

Titel: Rabenflüstern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Schmidt
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die anderen an. 
    »Feiger Däne«, räusperte sich Henfir leise, aber Kraeh verstand es und sagte: »Nein, er hat recht. Von hier ab trennen sich unsre Wege.« 
    »Zwei Sonnenläufe«, sagte Helmward, sah nach oben und wieder hinab, sobald er den Standpunkt der gelben Scheibe hinter dem Grau des winterlichen Himmels ausgemacht hatte, »dann berichte ich dem König von deinem Ableben.« 
    Henfir knurrte. Es war offensichtlich, dass er dem Fährtensucher am liebsten sofort den Garaus gemacht hätte. Kraeh war der Erste, der ihm einen ehrwürdigen Platz in der Armee Skaarbroks zugestanden, ihn allein nach seinen Fähigkeiten bewertet hatte. Die ehemaligen Heerführer hatten ihm stets seiner nordischen Herkunft wegen misstraut. 
    Der Alte tat so, als hätte er die Worte nicht vernommen, und bemerkte schlicht: »Wir werden in der Nähe ein Lager aufschlagen und dich erwarten, wenn du zurückkehrst.« 
    Händeschüttelnd verabschiedeten sie sich und Kraeh machte sich, sein verängstigtes Reittier zurücklassend, auf in den düsteren Wald. 
     
    *** 
     
    Es dämmerte bereits, doch Kraeh war entschlossen, weiter in den Wald vorzudringen. Vielleicht hätte er diese Nacht noch bei den anderen bleiben und erst am nächsten Morgen aufbrechen sollen, überlegte er, spürte aber zugleich, wie wenig Einfluss er auf alle nun folgenden Ereignisse haben würde, und kam hernach zu dem Schluss, es sei gleich, zu welchem Zeitpunkt er diese schicksalhafte Suche antreten würde. 
    Bei zunehmender Finsternis wurde es kälter, kaum sah er die Hand vor Augen. Er war sich nicht einmal sicher, nicht im Kreis zu gehen. Gleichwohl war ihm bewusst, dass er nicht innehalten durfte. Bei einer Rast könnte der Schlaf, der schon mit verlockender Macht an seinem Geist zerrte, ihn überwältigen, was den sicheren Kältetod zur Folge gehabt hätte. Verbissen kämpfte er sich vorwärts, seine Zehen und Finger spürte er schon lange nicht mehr. Ein gelegentlicher Windstoß ließ in den Wipfeln angehäuften Schnee auf ihn herabregnen; eine Eule glotzte auf ihn herab in der Erwartung, sein Stapfen würde eine Maus oder andere kleine Nager, die sich als Beute eigneten, aufscheuchen. 
    Gerade beschäftigte ihn der Gedanken, ein Feuer zu entfachen, solange er noch die Energie dazu hätte. Es konnte nicht mehr lange bis zur Dämmerung sein, da hörte er eine fiepende Stimme, die sich über irgendetwas zu ärgern schien. Neue Kraft schöpfend, zwang er seinen Körper in die Richtung, aus der das Geräusch zu kommen schien. 
    Auf einer schmalen Lichtung mühte sich ein kleines Wesen von der Statur eines Knaben mit etwas ab, das Kraeh nicht erkennen konnte. Trotz der Witterung trug das Männlein bloß eine helle Stoffgarnitur. Das Ding in seinen Händen versuchte offenbar, sich zu wehren; dann knackte es und das Strampeln erstarb. 
    »Gottverdammte Mistviecher! Wollt mir meinen Garten plündern!«, spie das Männlein aus, verknotete unsanft die Hinterläufe des unglücklichen Tierchens und hängte es an eine Leine, an der bereits ein halbes Dutzend seiner Artgenossen baumelte. 
    Im ersten Moment, da das Wesen ihm das Gesicht zuwendete, erschrak Kraeh. Er hatte einen Gnom, einen Kobold oder Ähnliches erwartet. Das Gesicht waren jedoch tatsächlich denen eines Kindes ähnlich, abgesehen von den zwei Glubschaugen, die im Verhältnis zur restlichen Gestalt an eine Kröte erinnerten. Der Haarschopf war zwar kurz geschnitten, aber nichtsdestoweniger verfilzt. 
    »He da!«, ging es ihn an. »Was glotzt du denn so dämlich?« Seine Finger waren dünn und die ungeschnittenen Nägel spitz und nach unten gekrümmt. »Trampelt um ein Haar in meinem Beet herum …« 
    Kraeh war zu erschöpft, um sich zu streiten, stellte sich daher einfach vor und fragte, was es denn hier anbaue und wie er es nennen solle. 
    »Oho!«, machte es. »Kraeh also, soso. Welche Ehre, dass mir die Kriegskrähe einen Besuch abstattet.« Es schien ehrlich beeindruckt, wechselte die Miene jedoch schnell wieder. »Glaub ja nicht, ich hätte Angst vor dir. Miersnick hat vor niemandem Angst! 
    Vorsicht!«, rief das Wesen schrill auf eine Bewegung Kraehs, der sich nur in einer angenehmeren Haltung an den Baum in seinem Rücken lehnen wollte. Eine Antwort auf seine zweite Frage war überflüssig geworden. Er sah zu Boden und wurde gewahr, dass er sich mitten in Unmengen verschiedenartigster Pilze befand. 
    Ihr augenscheinlicher Gärtner sprang entsetzt vor und kniete sich nieder.

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