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Rabenherz & Elsternseele

Rabenherz & Elsternseele

Titel: Rabenherz & Elsternseele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Sophie Marcus
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lag. Und von ihm glaubte ich, dass er es völlig egal fand, wie alt mein Sweatshirt war.
    Äußerst geduldig schluckte ich meinen Ärger herunter. »Ich muss dir unbedingt von meinem Wochenende erzählen. Es sind eine Menge gruselige Sachen passiert.«
    Anna verzog den Mund. »Ach? Sag bloß. Wieder solche Vogelgeschichten? Na klar, was sonst. Für etwas Normales interessierst du dich ja nicht mehr.«
    »Das stimmt doch gar nicht. Was kann ich dafür, dass …«
    »Ja, ja, schon gut. Dir geschieht das alles einfach nur, du Arme. Weißt du was? Es macht absolut keinen Spaß mehr, sich mit dir zu unterhalten. Es geht immer nur um dich.«
    Mit einem schnippischen Schulterzucken ging sie zu ein paar anderen aus unserer Klasse und ließ mich allein stehen. Eine Ohrfeige hätte sich wahrscheinlich auch nicht schlimmer angefühlt.
    Auf dem Heimweg von der Schule fuhr ich bedrückt bei Omas Haus vorbei, um wie versprochen ihre Zimmerpflanzen zu gießen. Auf dem Gehweg stand eine grauhaarige Dame in dunklem Kleid und Mantel, in der Hand einen Gehstock. Sie bewunderte vermutlich Omas Herbstblumen im Vorgarten: eine Decke aus hellrosa- bis dunkellilafarbenen Blütensternchen von Astern und Anemonen.
    Nachdem ich mein Rad hinter das Haus gebracht hatte, stand sie noch immer an derselben Stelle und begutachtete den Garten. Ich lächelte ihr zu und sagte allerhöflichst »Guten Tag«.
    Sie musterte mich mit undurchdringlicher Miene, als müsse sie erst darüber nachdenken, ob ich ihres Grußes würdig war. Nur weil sie lange schwieg, bevor sie ebenfalls ein merkwürdig deutlich betontes »Guten Tag« hervorbrachte, sah ich sie mir noch einmal genauer an.
    Mich packte wieder das Gruselgefühl, das mich seit dem Samstag verfolgte. Ihr Gesicht kam mir bekannt vor, sie erinnerte mich an jemanden, den ich nicht mochte. Doch erst als ich die Haustür hinter mir geschlossen hatte und in der Küche die Gießkanne mit Wasser füllte, fiel mir ein, wem die Frau ähnelte. Sie hatte die gleiche Hakennase wie Rudolf von Meutinger.
    Mit der Gießkanne bewaffnet sauste ich zu einem der vorderen Fenster und spähte durch die Gardine, um noch einen Blick auf die alte Frau zu werfen. Sie war nicht mehr da. Mein Herzschlag legte einen Zahn zu. Hatte die Dame tatsächlich nur Omas Blumen bewundert? Oder – mir kam plötzlich ein Gedanke – war sie etwa diese Frau Winterstein aus dem Museum, die Oma hatte treffen wollen?
    Ich hätte ziemlich viel dafür gegeben, Strix von der Sache erzählen zu können, aber der meldete sich auch an diesem Tag nicht, und ich konnte ihn nicht erreichen.
    Beim Abendessen machte ich den zaghaften Versuch, Mama einzuweihen, doch die bekam schon vor Sorge tellergroße Augen, als ich nur vorsichtig die geheimnisvolle Frau erwähnte, der Oma im Historicum begegnet war.
    »Ich möchte, dass du dich von der ganzen Vogelgeschichte möglichst fernhältst, so lange Oma nicht da ist. Am besten, du verwandelst dich überhaupt nicht. Wer soll dir denn helfen, wenn etwas schiefgeht? Ich verstehe doch nichts davon. Und ihr wollt ja nicht einmal Papa die Wahrheit sagen.«
    Ihre Stimme wurde zittrig vor Aufregung, sodass ich schnell versuchte, sie zu beruhigen. »Mir wird schon nichts passieren. Ich fliege inzwischen richtig gut. Und das Verwandeln geht fast immer glatt. Warum soll Papa sich auch noch Sorgen machen? Du weißt doch, je weniger Leute das Geheimnis kennen, desto sicherer ist es für alle.« Das sagte Oma immer. Und seit Kurzem gab ich ihr da völlig recht. Ich bereute schon, dass ich Annabelle alles erzählt hatte. Wer wusste, was sie nun tun würde, wo sie wütend auf mich war?
    Größere Sorgen machte ich mir allerdings allmählich um Strix. Ich nahm mir vor, es am nächsten Tag unter seiner Festnetznummer zu versuchen, was ich sonst vermied. Sein Vater war unfreundlich, und seine Mutter stellte immer eine Menge neugierige Fragen, bevor sie endlich den Hörer weiterreichte.
    Doch als ich am nächsten Tag aus der Schule kam, saß Strix auf unserer Vorgartenmauer. Mit hochgezogenen Knien und verschränkten Armen hockte er da und sah zu Boden, wobei ihm die Haare ins Gesicht hingen.
    Erst als ich vor ihm hielt, blickte er auf. Er sah ziemlich fertig aus, lächelte mich aber an. Mein Herz machte einen kleinen Satz. So ein Lächeln von Strix bedeutete mir viel.
    »Na, endlich. Meinst du, ich kann bei euch essen?«, fragte er.
    »Klar. Außer uns beiden ist sowieso niemand da«, sagte ich und hatte das Gefühl, dass mir

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