Rabenherz & Elsternseele
mein Grinsen gleich die Ohren absprengen würde. »Wo hast du dein Rad?«
Aus dem netten Lächeln wurden zusammengekniffene Lippen. »Lass mich erst was essen«, sagte er bloß.
Wir machten uns aus Nudelresten vom Vortag einen Salat, und nachdem er die erste Portion verdrückt hatte, erzählte Strix mir, was los war.
Der Besitzer des gestohlenen Rades war in den Urlaub abgereist, hatte der Polizei jedoch vorher noch einen anonymen Brief übergeben, in dem Strix als Dieb seines Rades bezichtigt wurde. Die Beamten wollten nun warten, bis er zurückkehrte, bevor sie den Fall weiter bearbeiteten.
Strix’ Eltern waren allerdings bei ihrem schnellen Urteil geblieben und hatten ihm nicht nur sein Handy vorübergehend abgenommen, sondern auch sein Rad.
Strix sein Rad wegzunehmen war so unfair, dass ich vor Fassungslosigkeit nur noch nach Luft schnappen konnte. Es war nicht nur so, dass er sein Rad mindestens so sehr liebte wie ich meins, sondern er brauchte es auch dringend. Von Queckenberg aus, wo er wohnte, waren alle wichtigen Orte schlecht zu erreichen.
Seufzend lehnte er sich im Stuhl zurück und ließ mit dem Zeigefinger seinen Nachtischlöffel auf dem Tisch wippen. »Ich habe das Gefühl, dass ich gestern den ganzen Tag nur im Bus gesessen habe. Und dabei lohnt es sich zurzeit sowieso nicht, nach Hause zu fahren, das kannst du mir glauben. Die Gesichter willst du nicht sehen. Sogar die Kleinen gucken mich an, als wäre ich ein Verbrecher.«
»Meinetwegen kannst du gern hierbleiben. Aber wenn du nicht nach Hause gehst, wird es eher noch schlimmer, oder?«
Er schnaubte genervt. »Vielleicht. Aber was soll’s. Ich kann ja nicht bei euch einziehen. Obwohl ich noch nicht weiß, wie ich nachher überhaupt nach Queckenberg kommen soll.«
»Mama oder Papa fahren dich bestimmt.«
»Ja. Du hast es echt gut getroffen mit deinen Eltern. Aber jeden Tag würden sie mich wahrscheinlich auch nicht nach Hause fahren wollen, oder?«
Ich spürte, wie ich rot wurde, und erwischte meinen Zeigefinger dabei, wie er mit meinem Löffel spielte. »Soll das heißen, du würdest gern jeden Tag herkommen?«
Na, so was, da lächelte er wieder. »Ist gerade mein einziger Lichtblick.«
Ich sah ihm in die Augen. »Weil es bei mir immer etwas zu essen gibt?«
»Genau«, stimmte er mir zu, nun mit breitem Grinsen, und beugte sich vor, um sich einen zweiten Berg Nudelsalat auf den Teller zu häufen.
An einem normalen Abend hätten Mama oder Papa Strix ganz sicher nach Hause gefahren. Doch ausgerechnet dieser Abend war nicht normal. Nacheinander riefen die beiden an, um mir Bescheid zu geben, dass sie erst spät von der Arbeit kommen würden.
Daraufhin machte ich Strix ein Angebot, das mich selbst überraschte: Ich lieh ihm mein Fahrrad!
Schon als ich ihm betont lässig hinterherwinkte, konnte ich nicht fassen, was ich getan hatte. Ich hatte dem Überschallpiloten mein sensibles Flügelross anvertraut. Heiliger Strohsack! War ich wenigstens so schlau gewesen, ihm zu sagen, dass er keine Bergabfahrt damit machen sollte?
Eigentlich hatte ich selbst am nächsten Morgen mit dem Bus zur Schule fahren wollen, aber ausnahmsweise nahm Papa das Auto, weil er einen Kunden besuchen musste. Er brachte mich früh zu Omas Haus, wo ich mir ihr altes, schwarzes Damenrad aus dem Schuppen holte. Damit zu fahren war eine Strapaze, aber es sah zumindest witzig aus mit seinem blauen Netz, das den langen Damenrock vor den Speichen schützen sollte.
Als ich schweißgebadet die Schule erreichte, zweifelte ich trotzdem an meinem Verstand. Außerdem war ich zu spät dran.
Und dann fing ich auch noch an, unter Verfolgungswahn zu leiden. Denn während ich Omas Rad an den Fahrradständer anschloss, landete über mir im Baum wieder so eine riesige Krähe, die mich durch die Äste hindurch zu beobachten schien. Es wäre schön gewesen, wenn ich als Vogelmensch die Fähigkeit gehabt hätte, gewöhnliche Vögel von anderen zu unterscheiden, doch leider besaß ich sie nicht. Außerdem musste ich mich beeilen und konnte die Krähe nicht genauer betrachten.
Strix hatte wieder früher Schluss gehabt als ich und wartete nach dem Unterricht dieses Mal an der Ausfahrt des Schulhofs auf mich. Anna warf mir deshalb albern vielsagende Blicke zu, während ich tat, als wäre es nichts Besonderes.
»Ich habe mein Handy wieder«, begrüßte er mich.
»Oh. Hat sich alles aufgeklärt?«
»Nein. Aber es hat meine Mutter gestört, dass sie mich gestern nicht erreichen
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