Rabenherz & Elsternseele
konnte. Sie hätte mich abgeholt, damit ich auf Max und Laura aufpasse. Ich kann heute auch nicht so lange bleiben.«
Auf dem Weg zu mir tauschten wir die Räder, aber als Strix losmusste, überließ ich ihm doch wieder meinen Liebling. Schließlich hatte er viel weitere Wege als ich, und ich konnte immer noch fliegen. Was ich auch gleich tat.
Strix wartete unten auf mich, und ich schlüpfte in der Zwischenzeit in meinem Zimmer aus der Jeans ins Gefieder. Als Elster warf ich mich aus dem Fenster in die nach feuchtem Laub duftende Herbstluft und begleitete ihn bis nach Queckenberg zu dem Haus, in dem Bubo wohnte. Dort stellte er mein Fahrrad ab, damit seine Eltern es nicht sahen. Ich landete auf seiner Schulter und zwickte ihn ins Ohr. Er lachte und strich mir mit dem gekrümmten Zeigefinger so angenehm kitzlig über meine weiße Brust, dass ich gurrte wie eine säuselnde Taube.
Dann klingelte Strix Bubo heraus, der – wie immer tagsüber – schläfrig aussah. Er wirkte, als würde er jede Nacht auf Mäusejagd fliegen. Dabei verwandelte er sich in Wirklichkeit nur selten.
Netterweise kam er von allein darauf, mich mit einem Bademantel seiner Mutter im Badezimmer allein zu lassen.
Ich hätte mich auch sofort verwandelt, wenn da nicht dieser Spiegel gewesen wäre. Mannomann blitzte der! Und auf der Ablage davor stand eine blaue Glasschale voller Funkelzeug. Das musste ich mir unbedingt ansehen. So einen Ring konnte man glatt über den ganzen Schnabel stülpen und dann damit vor dem Spiegel hin und her winken, dann war alles so schön doppelt und glitzerte zweifach oder mehrfach, wenn man noch einen anderen Ring dazunahm. Und mit der Kralle eine Kette. Aber da musste ich flattern, um das Gleichgewicht zu halten. Auf einmal schepperte und klirrte es mächtig.
Hübsche blaue Scherben und jede Menge Funkelzeug im Waschbecken. Schneckendreck, Pia!
Wütend über mich selbst landete ich auf dem Fliesenfußboden, verwandelte mich in null Komma nichts und rettete wenigstens den Schmuck, bevor er im Abfluss verschwinden konnte. Manchmal hatte auch eine schlaue Elster nur ein blödes Vogelhirn. Damit umzugehen musste ich eindeutig noch üben.
Zerknirscht trat ich Bubo mit den Scherben in der Hand entgegen. Er seufzte und schob die Brille auf seinem Nasenrücken nach oben. »Sie wird nicht begeistert sein. Sie mag es überhaupt nicht, wenn etwas kaputtgeht. Diese blaue Schale stand da, solange ich denken kann.«
»Es tut mir schrecklich leid. Kann ich das irgendwie gutmachen?«
»Nein. Ist auch nicht nötig. Ich ersetze das Ding einfach durch die hässliche grüne Schale, in der ich meine Radiergummis aufbewahre, und behaupte, es wäre schon immer die gewesen.«
»Funktioniert das?«
»Nun … Wie soll sie mir das Gegenteil beweisen? Ihr müsst nur die Scherben mitnehmen und verschwinden lassen.«
Während Bubo die Ersatzschale ins Bad brachte, wickelte ich die Scherben in ein Stück Zeitungspapier, und Strix steckte das Päckchen in seine Jacke. Ich fühlte mich ziemlich fremd in dem monströs weiten Bademantel und setzte mich unbeholfen und steif neben Strix auf Bubos Bett. »Ich dumme Elster konnte den Schnabel nicht vom Schmuck lassen. So ein paar Sachen habe ich echt noch nicht im Griff«, sagte ich geknickt.
Bubo, der wieder hereingekommen war, sah mich missbilligend an. »Worüber beschwerst du dich? Ich bescheuerter Uhu bin bei Tageslicht immer müde, versuche aber bei jedem Rascheln die Maus zu fangen, auch wenn es in Wirklichkeit nur ein ekliger Maikäfer ist, der durchs Laub krabbelt. Wenn ich mich zurückverwandle, bin ich so erledigt, dass ich mindestens einen Tag lang meine Hände nicht richtig gebrauchen kann, während du als Erstes Kettchen und Scherben aufsammelst und herumtänzelst, als könntest du dich jede Stunde einmal hin- und zurückverwandeln, ohne dass es dich stören würde.«
»Es stört mich auch nicht«, gab ich zu.
»Sie ist ein Naturtalent, wenn man das so nennen kann«, meinte Strix. »Es sieht immer ganz leicht aus, wenn …« Abrupt verstummte er und schien sich auf die Zunge zu beißen. Besser für ihn, dass er nicht weiter darauf einging, wie ich vor und nach meinen Verwandlungen aussah. Denn vor allem war ich dann eines: nackt. Als Elster war mir das nicht peinlich – als Mädchen schon. Und eigentlich achtete ich darauf, dass er nicht zusah.
Unwillkürlich zog ich den Bademantel enger zu und wechselte rasch das Thema. »Ich würde dich gern zu einer Verabredung
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