Rabenherz & Elsternseele
pfiff schrill vor Begeisterung und wich nur um Flaumfederbreite Joris Klauen aus. Mittlerweile hatte ich sie schon ein gutes Stück vom Hühnerauslauf fortgelockt. Nun wäre es gut gewesen, wenn ich mit ihr hätte sprechen können. Leider war alles, was ich bisher sagen konnte: Schäckäck, ding dang dong, hol Hilfe und Aaauiiaaauiiiaaauiiiaaa. Moment, es musste doch wenigstens ein einziges nützliches Wort geben, das ich zustande brachte? Es war nicht leicht, meine Elsternzunge in Form zu zwingen und gleichzeitig Joris Hackschnabel zu entkommen. Doch es gelang mir.
»Jori«, sagte ich. »Jori, Jori, Jori.«
Und tatsächlich drang ich zu ihr durch. Sie beruhigte sich und griff mich nicht mehr an. Ich flog vor ihren Augen eine Acht und dann voraus zur Mühle. Sie folgte mir sogar durchs Fenster hinein, wo die anderen auf uns warteten.
Bubo war schlau genug, Jori seinen Arm hinzuhalten, während Strix meine Klamotten aufsammelte, sie mir in eine Zimmerecke legte und sich dann abwandte. Es dauerte keine drei Minuten, bis ich meine Menschengestalt wiederhatte und angezogen war. Strix schloss inzwischen das Fenster.
Jori trat auf Bubos Arm unruhig von der einen auf die andere Klaue, blieb aber sitzen. Ich wollte ihr gerade sagen, was ich von ihrer miesen Einstellung zu seltenen Haustierarten hielt, da fiel mir auf, dass Frau Winterstein mich mit offenem Mund anstarrte. Hatte ich irgendwo Federn zurückbehalten?
»Was ist denn?«, fragte ich.
Sie schüttelte den Kopf. »Das ist unglaublich.«
Was meinte sie? Sie hatte doch getan, als wüsste sie Bescheid.
»Haben Sie noch nie eine Verwandlung gesehen?«, wollte Bubo wissen. Er klang so misstrauisch, wie ich mich fühlte.
»Oh doch, oh doch. Aber das hier … Was ist dein Geheimnis, Kind? Wie schaffst du es, den Fluch so spielend zu beherrschen? Wenn wir das wüssten, dann …«
Sie ging mir auf die Nerven. »Was meinen Sie denn immer mit Fluch ? Das ist doch kein Fluch«, unterbrach ich sie.
»Also irgendwie schon. Ich wäre nicht böse, wenn ich diese Plage loswürde«, widersprach Bubo.
Als hätte sie auf einmal wirklich ein Fluch getroffen, fiel Jori rückwärts von seinem Arm auf den Boden. Nur ihre ausgebreiteten Flügel fingen den Sturz ab. Reglos lag sie auf ihrem gefiederten Rücken. Ich wollte mir gerade Sorgen um sie machen, da verschwanden die ersten Federn von ihrer Brust.
»Umdrehen!« befahl ich den Jungen und zog meine Jacke wieder aus. »Strix, besorg etwas zum Anziehen! Bubo, pass auf, dass niemand hereinkommt!«
Als Strix losflitzte, ohne eine einzige dumme Frage zu stellen, verzieh ich ihm endgültig alles. Jori hatte es auch dieses Mal nicht leicht, aber nach zehn Minuten war sie ein Mädchen, ohne Klauen, Schnabel oder sonst ein Vogelteil zurückbehalten zu haben.
Ich half ihr dabei, meine Jacke anzuziehen, und kurz darauf kam Strix hereingestürmt.
»Hier!« Er warf mir einen leeren Mehlsack zu und einen staubigen, langen schwarzen Rock.
Ich musste lachen. »Wo hast du den denn her?«
Er lächelte. »Der hing als Dekoration in einem von den Bauernhäusern.«
Jori kauerte in meine Jacke gehüllt auf dem Boden und betrachtete Strix’ Beute fassungslos. »Das ziehe ich nicht an!«
Man hätte meinen sollen, sie wäre froh, überhaupt etwas anziehen zu können. »Komm schon. Wir machen dir ein schickes Oberteil aus dem Sack. Darüber ziehst du meine Jacke«, sagte ich.
»Auf keinen Fall«, zischte sie.
Ihre Hoheit, die Habichtprinzessin, konnte einem wirklich im Handumdrehen den letzten Nerv rauben.
»Also gut, dann ziehe ich es eben an«, sagte ich. Ich würde das sicher überleben. Schließlich musste ich es nur bis zum Auto schaffen, wenn Mama uns abholte.
Während ich mit Bubos Gürtel den schwarzen Rock um meine Taille zusammenraffte, stand Frau Winterstein mit vor der Brust gefalteten Händen und mitleidvollem Blick in einer Ecke des Raumes und beobachtete uns.
»Ein Fluch ist es. Ein Fluch, nichts anderes«, sagte sie.
»Die Pest«, sagte Jori. Es klang, als würde sie schluchzen.
»Seht ihr nicht ein, dass es damit ein Ende haben muss?«, fragte Frau Winterstein.
»Doch«, sagte Bubo.
»Absolut«, stimmte Jori zu.
Frau Winterstein nickte. »Gut. Dann überzeugt eure Pia davon, dass sie uns helfen muss, das Mittel zu entwickeln, bevor es zu spät ist. Es muss ein für alle Mal Schluss sein mit den Verwandlungen. Zur Sicherheit aller Nachfahren Tatanwis.«
Die vier sahen mich erwartungsvoll an. Ich schüttelte den
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