Rabenherz & Elsternseele
Straßenseite hinüberwanderte, wusste ich, wo der Kerl wohnte. Mein Herz schlug vor Angst immer schneller.
»Pia?«, fragte Strix.
Ich zeigte mit zitternder Hand auf das Haus. »Ich glaube, das ist es.«
Er wandte sich dem Gebäude zu. »Ich kann da nichts Besonderes entdecken. Lass uns mal über die Straße und näher herangehen.«
Ich nickte, blieb aber stocksteif stehen. Strix bemerkte es erst, als er schon halb über die Straße war.
»Was ist los?«
Meine Hände krampften sich um den Fahrradlenker. Je länger ich das Haus betrachtete, desto mehr schien es in Dunkelheit zu versinken. »Tut mir leid. Ich kann da nicht näher herangehen.«
Verwundert runzelte er die Stirn und zögerte kurz. Dann zuckte er mit den Schultern. »Okay, bleib da! Ich komme gleich wieder zu dir.«
Geh nicht! , wollte ich schreien, riss mich aber zusammen. Was auch immer da lauerte, es würde Strix wohl nicht am helllichten Tage fressen.
»Sei vorsichtig!«, sagte ich. Meine Stimme klang jämmerlich. So viel zur »mutigen Pia«.
Strix schob sein Rad auf den Bürgersteig der anderen Straßenseite und lehnte es gegen einen der Vogelbeerbäume. Ich sah, wie er prüfende Blicke auf die Fenster warf, um festzustellen, ob ihn jemand von drinnen beobachtete. Zuerst ging er zur rechten Seite des Hauses und versuchte, in den Garten zu spähen, dann zur linken, wo die Lücke zwischen den Häusern von einer Garage ausgefüllt war. Unzufrieden schüttelte er den Kopf und versuchte, von der Gartenmauer des Nachbarn aus, an der Garage vorbeizusehen. Offensichtlich brachte auch das nichts. Er ging wieder zur rechten Seite des Hauses und flankte über den Zaun auf das Grundstück. Beinah hätte ich aufgeschrien. Es war ein Wunder, dass sich mein Fahrradlenker in meinen Händen nicht verbog.
Was machte Strix denn da? Gefahr, Gefahr, Gefahr , hämmerte es in meinem Hirn. Aber bewegen konnte ich mich noch immer nicht. Gebannt sah ich zu, wie Strix am Haus entlanghuschte, ehe er aus meiner Sichtweite verschwand.
Die nächsten Minuten waren unerträglich. Ich bekam weiche Knie. Wenn ihm bloß nichts passierte!
In der Nähe knallte jemand eine Autotür zu – mein Herz schlug vor Schreck Salto.
Endlich erschien Strix wieder, setzte über den Zaun, holte in aller Seelenruhe sein Rad und kam zu mir.
Ich wollte nur noch weg. Bevor er etwas sagen konnte, sprang ich aufs Rad und raste bis in den Stadtpark. Am Seeufer ließ ich mich auf eine Bank fallen.
Einen schnaufenden Atemzug später setzte Strix sich neben mich.
»Mannomann, das scheint dich ja wirklich mitzunehmen. Auf mich wirkte alles normal. Man sieht dem Garten zwar an, dass der Mann keine Vögel mag, aber besonders unheimlich ist es nicht.«
»Beschreib mir, was du gesehen hast.«
»Obstbäume mit Streifen aus Alufolie, Blumen- und Gemüsebeete mit irgendwelchen Anbindegestellen aus Eisen drin und den Pavillon mit Mosaiktisch und Stühlen, den du erwähnt hattest. Hinter den Gärten liegt eine verwilderte Obstbaumwiese mit einer alten Vogelscheuche. Das Ding ist das Einzige, was ich ein bisschen gruselig nennen würde. Sie trägt einen weiten schwarzen Mantel, und der Rübenkopf zieht eine fiese Grimasse. Gibt es tatsächlich Vögel, die vor so etwas Angst haben? Die merken doch schnell, dass das Ding immer nur still dasteht.«
Immer still dasteht? »Als ich über den Garten geflogen bin, habe ich diese Vogelscheuche nicht gesehen. Vielleicht stand sie an dem Tag noch nicht da.«
»Warum sollte jemand auf einmal so ein Ding in einen Obstgarten stellen, der völlig vernachlässigt aussieht?«
»Glaubst du, wir könnten von der anderen Seite aus auf die Wiese kommen? Ich würde mir die Vogelscheuche gern mal ansehen. Aber zu nah an diesen Garten trau ich mich nicht heran.«
»Wollen wir das heute noch machen? Es ist schon ziemlich spät.«
»Morgen fahren wir Oma besuchen. Vielleicht am Montag? Glaubst du, deine Eltern lassen dich jetzt dein Rad behalten?«
»Ich weiß nicht. Wenigstens sind sie nicht mehr ganz so sicher, dass ich der Dieb bin. Sag mal, ist das hier eigentlich die Stelle, wo du hingeflogen bist, nachdem Leander dich aus dem Garten befreit hatte?«
Die Geschichte mit meinem Sturz in den See hatte ich bisher verschwiegen. Ich betrachtete einen Augenblick lang die blöden Gänse und Schwäne, die völlig überzeugend so taten, als würden sie mich nicht kennen. Wahrscheinlich würde auch Strix sich aufregen, wenn er von der Sache hörte, und sich dann ganz auf die
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