Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rabenherz & Elsternseele

Rabenherz & Elsternseele

Titel: Rabenherz & Elsternseele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Sophie Marcus
Vom Netzwerk:
Seite derjenigen stellen, die das Verwandeln abschaffen wollten.
    Andererseits fühlte es sich mies an, Geheimnisse vor ihm zu haben. Also erzählte ich ihm doch von meinem glorreichen Bad mit den Wasserbestien. Er sah zwar erschrocken aus, während ich davon sprach, doch danach lächelte er. »Das hätte ich gern gesehen.«
    »Was?«
    »Wie du plötzlich zwischen dem Geflügel zum Mensch geworden bist. Und …«
    »Und?«
    Er grinste unverschämt. »Na, und wie du danach aus dem See herausmarschiert bist.«
    Ich musste lachen. »Du hättest dich umdrehen müssen, sonst wäre ich nicht herausgekommen.«
    »Bei dem eiskalten Wasser? Ich glaube, das wärst du doch.«
    »Wäre ich nicht.«
    Er sah mir mit einem Blick in die Augen, von dem mir ganz warm wurde. »Tja, Pica. Wenn ich es mir richtig überlege, wärst du tatsächlich stur genug, um im See festzufrieren, ehe du etwas tust, was du nicht willst.«
    »Bin ich wirklich so? Klingt ja schlimm.«
    Er nickte, stand auf und reckte sich. »Ja. Aber ich mag’s. Komm, Vollgas zu dir. Und dann muss ich nach Hause.«
    Bis auf das »dann muss ich nach Hause« hätte er kaum etwas Schöneres sagen können.
    Bei meiner guten Laune konnte ich gar nicht anders, als sogar zu Jori nett zu sein. Und da sie das Freundlichsein seit dem Morgen ebenfalls nicht aufgegeben hatte, saßen wir mit Mama und Papa zum ersten angenehmen gemeinsamen Abendessen zusammen. Der perfekte Abschluss eines wunderbaren Tages.

Vogelhasser
    I
ch hatte schon darüber nachgedacht, ob Oma wohl einen Vorwand erfinden würde, um Mama aus dem Krankenhauszimmer zu lotsen. Doch sie log nicht, sondern bat einfach darum, mit mir allein sprechen zu dürfen.
    Mama warf mir einen besorgten Blick zu, ging aber hinaus. Oma vergeudete keine Zeit. Gespannt setzte sie sich auf. »Schieß los! Wer ist die Frau, und was hat sie erzählt?«
    Ich berichtete ihr in allen Einzelheiten von unserer Begegnung mit Frau Winterstein, ohne meine Meinung zu ihrem seltsamen Plan zu verraten.
    Oma brauchte nur zwei Minuten, um ihre eigenen Schlüsse zu ziehen. »Vogelfängerlied? Was sollte eine Elster darauf geben? Wir sind doch keine Nachtigallen. Die Sache klingt gefährlich, aber glauben kann ich sie nicht.«
    Mir fiel ein Stein vom Herzen. »Ich auch nicht, Oma. Aber die anderen glauben alles, und sie sind sauer, weil ich nicht helfen will. Sie hassen, was sie sind, und wären am liebsten normal. Was soll ich machen?«
    Nachdenklich blickte sie aus dem Fenster über die Bäume des Krankenhausparks. »Es wäre gut, wenn du versuchen würdest, ihnen zu helfen. Allerdings nicht so, wie Frau Winterstein sich das vorstellt. Hast du in letzter Zeit mal darüber nachgedacht, warum du die Verwandlung besser beherrschen kannst als andere?«
    »Wenn ich Elster bin und mich verwandeln will, denke ich daran, was am Menschsein gut ist und umgekehrt. Das ist nicht schwierig. Ich bin gern Elster. Zu fliegen oder hübsche Sachen zu suchen ist toll. Ich muss ja nicht ständig Tauben oder Mäuse fangen und fressen wie Jori und Bubo, sondern habe eine Menge Spaß. Aber ich bin auch gern Mensch. Als ich im Sommer bei Rudolph von Meutinger im Schrank gefangen war und mich dringend zurückverwandeln musste, habe ich ans Radfahren gedacht und daran, dass ich dich unbedingt wiedersehen wollte. Meinst du, dass es auf diese Art auch bei den anderen funktionieren könnte?«
    »Du solltest es ihnen wenigstens erklären. Biete ihnen an, sie zu unterstützen, wenn sie es probieren möchten. Ihr müsst eine Gemeinschaft sein, Pia, keine Gegner. Wenn ihr euch gegenseitig helft …«
    Ich musste lachen, weil Oma nicht müde wurde, das zu wiederholen, und weil es einfach so gut tat, mit ihr zu reden. »Du hast ja recht, Oma. Aber das ist nun mal leichter gesagt als getan. Ich glaube, wir sind alle ziemlich schwierig. Wie soll man so einen Haufen komischer Vögel unter einen Hut bringen?«
    Oma schmunzelte und streichelte meine Hand. »Mit Geduld, Freundlichkeit und Humor, mein Schatz. Außerdem kann es viel bewirken, einen gemeinsamen Feind zu haben.«
    Ich nickte und dachte an unsere kleine Truppe. Tatsächlich war ich trotz aller Streitigkeiten davon überzeugt, dass jeder dem anderen im Notfall helfen würde. Sogar die zickige Jori. Und das war doch eigentlich schon eine Menge wert.
    Oma und ich unterhielten uns noch eine ganze Weile. Am Ende hatte ich völlig vergessen, dass wir in einem Krankenhauszimmer saßen. Aber als Mama wieder hereinkam und ich ihre

Weitere Kostenlose Bücher