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Rabenmond - Der magische Bund

Titel: Rabenmond - Der magische Bund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny-Mai Nuyen
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freute und wusste, dass sie sich nicht freuen sollte. Sie tat etwas Hinterhältiges, es sollte sie abstoßen. Erst wenn sie ihm gegenüberstand, vergaß sie alles.
    Der Prinz meldete sich nicht mehr. Nachdem Jagu zurückgekehrt war, beunruhigte sie diese Tatsache. Fünf, sechs Tage vergingen, schließlich eine Woche. Mion wusste, dass Jagu jeden Morgen nach einem Briefboten Ausschau hielt und dass sie der Grund für seine sorgenvoll gerunzelte Stirn war, auch wenn er nichts sagte.
    Wieso verlangte der Prinz kein weiteres Treffen? Hatte er das Interesse an ihr verloren? Immer wieder ging Mion ihre Erinnerungen durch, überlegte nervös, ob sie etwas falsch gemacht haben könnte... Mit jedem Tag wurde sie unsicherer und spielte noch mehr Ritus.
    Manchmal kam Faunia schon mittags, wenn sie gerade aufgewacht war, in Jagus Schlafzimmer und spielte. Irgendwann machte Mion mit, was Faunia stillschweigend hinnahm. Abends zog auch Jagu einen Kreidekreis. An einem Tag spielte sie ganze vier Mal - dafür war sie noch am nächsten Abend wackelig auf den Beinen und hatte einen Kopf wie Watte.
    Faunia konnte sie trotzdem nicht übertreffen. Wenn sie aufwachte, griff sie sofort zur Kreide. Danach spielte sie so lange Ritus, bis sie beim Schweben ohnmächtig wurde und einschlief. Die Zeichnungen, die sie Jagu sonst täglich ins Atelier oder auf sein Bett gelegt hatte, blieben aus. Ihre Augen richteten sich mit jedem Ritusspiel tiefer nach innen, verloren sich im Stillen. Wenn sie schwebte, bedachte sie Mion mit demselben bewusstlosen Blick wie Jagu oder die geopferte Schlange.
    Es war dieser Blick, der Mion eines Abends davon abhielt, Ritus zu spielen. Die Fenster des Schlafzimmers standen offen, denn es war heiß; das laute Zirpen der Grillen vibrierte in der Luft und die Gräser rochen trocken wie Stroh. Den ganzen Tag hatte Mion in den Schatten im Hofgarten gelegen, sich matt geschwitzt und die Füße ins Teichwasser getaucht. Und nun, wo sie Ritus spielen wollten, wirkten der träge Frieden, das gleichgültige Grillenzirpen, der Sommerduft wie eine stille Drohung.
    Faunia und Jagu hatten bereits den Atem der Schlange in sich aufgenommen. Mion hielt das sterbende Wesen in der Hand und brachte es plötzlich nicht über sich, mitzumachen. Starr beobachtete sie Faunia, die mit ihrem unheimlichen Lächeln aufstand, um die Schritte zu gehen. Mion legte die Schlange, die inzwischen tot war, auf den Boden und trat aus dem Kreidekreis. Die Arme um ihre Beine geschlungen, setzte sie sich gegen die Wand und beobachtete die beiden.
    Als sie die Schritte gegangen waren, zahlten sie ihr Blut zurück. Mion schauderte, als sie Faunias linke Hand sah: Ihr Ringfinger war geschwollen und von unzähligen Stichen übersät. Nur ein paar dunkle Tropfen Blut sickerten hervor, als sie hineinstach. Dann erschlafften sie und Jagu, als hätte jemand Marionetten fallen gelassen.
    Fast eine halbe Stunde verstrich, ohne dass sie sich rührten. Mion wusste, wenn sie zu sich kamen, würden sie sich fühlen, als hätten sie hundert Leben in einem einzigen Traum durchflogen.
    Schließlich regte Faunia sich. Ihr rechter Arm hob sich wie von Geisterhand, ihr Oberkörper folgte und sie drehte langsam den Kopf.
    »Jagu... was ich sehe! Siehst du dasselbe?« Ihre Augen waren geschlossen, sodass Mion nicht sicher war, ob sie wirklich mit Jagu sprach oder fantasierte. Wankend kroch sie auf ihn zu, legte die Hände um seinen Nacken und lehnte die Stirn an seine Schulter. »Da sind zwei flammende Dolche, sie durchbohren mich«, flüsterte sie. »Deine Liebe fragt mich, ob ich Faunia bin, und ich sage Ja, und deine Liebe durchbohrt mich mit zwei flammenden Dolchen. Ich sterbe... wenn ich sterbe, ist der Himmel rot, überall sind Federn und Staub. Es ist kalt und heiß in meinem Herzen. Es tut so weh.«
    Vorsichtig berührte Jagu ihre Wange. Seine Augen öffneten sich, doch sein Blick blieb trüb. »Ich...« Er schluckte trocken. »Ich beweise es dir! Wenn du es nicht zugibst, bringe ich dich dazu, mich zu hassen. Dann weißt du, dass du mich geliebt hast. Man kann nur hassen, wenn man einmal geliebt hat, Holypta!«
    Blitzartig wich Faunia zurück. Ihre Augen flackerten, doch der Schleier des Schwebens hing noch immer über ihrem Blick wie dicke Spinnweben. »Was?«
    Jagus Schultern bebten. Schockiert erkannte Mion, dass er weinte. Tränen tropften auf den Boden.
    »Holypta«, wiederholte Faunia schrill. »Das ist gar nicht gut, Jagu, das... das ist böse, das wird mich

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