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Rabenmond - Der magische Bund

Titel: Rabenmond - Der magische Bund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny-Mai Nuyen
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Wo warst du?« Stockend ging sie in ihr Zimmer und schloss die Tür. Mond setzte sich erwartungsvoll neben ihr Bett, als würde sie ihm gleich ihr Herz ausschütten. Sie ließ sich auf die Bettkante sinken und er legte den Kopf in ihren Schoß. Nachdenklich streichelte sie sein weiches schwarzes Fell.
    Du weißt nicht, dass ich hässlich bin, sagte sie ihm im Stillen. Du liebst mich, weil du nicht verstehst. Weil du nicht verstehst.

DIE DRITTE SONNENWENDE
    Schnee und Blut

Faunia
    D ie Sommerwochen verstrichen wie ein zeitloser, fiebriger Tagtraum. Morgens wachte Mion auf und hatte noch den Geschmack von Schlangenblut auf den Lippen. Wenn sie nicht den Prinzen besuchen ging, wanderte sie zwischen Atelier, Küche und Hofgarten umher und schlug die Zeit tot. Hätte sie nicht Osiril bedienen müssen, wäre sie wie Faunia den lieben langen Tag im Nachthemd herumgelaufen.
    Als Osiril sie fragte, ob sie schon daran gedacht hätte, am jährlichen Malwettbewerb der Lehrlinge teilzunehmen, fühlte Mion sich wie in eine andere Welt gerissen. Es schien Ewigkeiten her, dass sie selbst geglaubt hatte, ein Malerlehrling zu werden. Dass sie nicht die war, die alle anderen in ihr sahen, war beängstigend. Ihr ganzes Leben bestand aus Geheimnissen, Fassaden und Lügen. Und sie trug nicht nur eine Maske, sondern gleich mehrere, je nachdem in wessen Gegenwart sie sich befand. Offiziell und vor den Gilden war sie ein Malerlehrling, in den Ruinen galt sie als tot, vor dem Prinzen war sie Faunia, eine große Künstlerin und ein guter Mensch. Einzig Jagu kannte sie wirklich... wenigstens konnten sie voreinander zugeben, Masken zu tragen.
    Eines Abends verschwand er und blieb vier Tage fort, in denen Mion kein einziges Mal Ritus spielte. Einmal war sie kurz davor, an Faunias Tür zu klopfen, weil sie sicher war, dass sie nichts anderes mehr tat, als zu spielen. Ohne den reinigenden Frieden des Jenseits war Mion nervös und bekam bei dem Gedanken an den Prinzen Angstanfälle. Zum Glück erhielt sie in den vier Tagen keine Einladung - Mion wusste nicht, ob sie es durchgestanden hätte, ihn in dieser Verfassung zu sehen. Nur wenn sie Ritus gespielt hatte, konnte sie das Leben mit der nötigen Gelassenheit betrachten und sich trauen, ihn wie einen Jungen zu behandeln.
    Als Jagu endlich zurückkam, war sie wütend.
    »Wo warst du?«, fragte sie so bissig, dass Jagu überrascht stehen blieb.
    »Ich habe mir Sorgen gemacht«, fügte sie hinzu, woraufhin er lachte. »Nicht um dich, um mich . Keine Angst, du bist mir stinkegal.«
    »Gab es denn Grund zur Sorge? Hast du unseren kleinen Prinzen wiedergetroffen?«
    Mion antwortete nicht. Sie mochte es nicht, wenn Jagu ihn so nannte - ›unser kleiner Prinz‹. Manchmal hatte sie das Gefühl, dass er sich dabei nicht nur über ihn, sondern auch über sie lustig machte.
    Jagu verriet ihr nicht, wo er gewesen war. Sie fragte ihn bestimmt zwanzig Mal abwechselnd freundlich, zornig und flehend, aber Jagu hatte nur ein müdes Lächeln für sie übrig. Als Mion ihn noch einmal mit einem anzüglichen Grinsen fragte, verließ er wortlos das Zimmer.
    »Ich erzähle dir auch nie wieder etwas!«, brüllte sie ihm nach.
    Abends kam sie in sein Schlafzimmer und blieb, mit verschränkten Armen an den Bettpfosten gelehnt, stehen. Eine Weile ignorierte er sie, dann schob er die Leinwände beiseite und holte den schwarzen Tonkrug. Mion zog den Kreidekreis.
     
    Sie verriet ihm nicht alles über den Prinzen. Obwohl sie erzählte, was sie getan, besprochen und gesehen hatten, verschwieg sie das eigentlich Wichtige. Nicht aus Absicht, sondern weil es sich nicht beschreiben ließ: ihre Blicke und die Stimme des Prinzen und die Art, wie er sich die Haare zurückstrich. Wie sollte sie diese Dinge erklären, wenn sie sie selbst nicht recht deuten konnte? Vielleicht traute sie sich auch nicht, sie auszusprechen.
    Jagu hakte zwar immer nach, was der Prinz gesagt hatte, aber er fragte Mion nie, was sie von dem Drachen hielt. Vielleicht weil es nichts von ihm zu halten gab - er war der Prinz und das war alles. Er war der Schlüssel zu ihrem Aufstieg, nicht mehr und nicht weniger.
    Oft schwankten ihre Gefühle zwischen Freude und Angst. Wenn sie den Prinzen verließ und nach Hause fuhr, fühlte sie brennende Sehnsucht nach Ritus, nach dem dämmrigen Atelier und danach, mit Jagu zu sprechen, zugleich erdrückten sie Schuldgefühle. Genauso ging es ihr, wenn sie den Prinzen besuchte: Ihr Bauch kribbelte vor Aufregung, weil sie sich

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