Rabenmond - Der magische Bund
umbringen!«
Sein Kopf sank in den Nacken, und da sah Mion, dass er nicht mehr weinte, sondern lachte.
Faunia sank vor ihn und streichelte sein Haar, als müsste sie ihn erst jetzt trösten. »Ich habe gesehen, dass wir Drachen werden! Es war Winter, die ganze Welt war weiß vor Schnee... aus dem Weiß löste sich der Palast, er war so riesig... Wir waren auf dem Weg dorthin. Du und ich, wir werden es gemeinsam schaffen. Du brauchst mich, nicht wahr?«
»Ja. Es ist wahr. Ach, Holpyta...«
Faunia ließ ihn los. »Hör auf, das zu sagen!«
Er packte ihre Schultern und sah ihr fest in die Augen. »Es ist wahr. Es ist wirklich gewesen. Holypta, Holypta, Holypta, Holy-«
Faunia gab ihm eine schallende Ohrfeige. »Lügner!«, kreischte sie. »Du bist ein Lügner, ein... ein böser Geist. Ein böser Geist. Du willst gar kein Drache werden. Du willst nicht in den Palast. Du willst nichts erschaffen, du willst etwas zerstören .« Schwer atmend ging sie auf und ab, rieb sich die Stirn, ohne ihn aus den Augen zu lassen. Der Hausmantel schleifte hinter ihr her und verwischte den Kreidekreis. »Du willst nur zerstören...«
Verwirrt beobachtete Mion die beiden. Eine Weile war nur Faunias Atmen zu hören und das Rauschen ihres Seidenmantels.
»Sag doch was!«, schrie sie. »Du willst uns alle ins Verderben stürzen, ja? Das kannst du haben!« Mit einem Schluchzen ergriff sie den Ritusdolch und setzte ihn an ihre Pulsadern. Mion fuhr hoch und schlug die Klinge aus ihrer Hand - gerade rechtzeitig. Eine Sekunde später, und sie hätte sich das Gelenk aufgeschlitzt. Zitternd starrte Faunia auf den Kratzer, an dem sich sofort hellrote Tropfen sammelten. Dann sah sie Jagu an, der noch immer reglos dasaß - Mion schien sie gar nicht zu bemerken. Mit einem Wimmern stürzte sie sich erneut auf den Dolch - und griff Jagu an.
Mion schrie auf. Faunia stieß auf ihn ein, doch Jagu konnte sie festhalten. Mion kam ihm zu Hilfe und versuchte, die Waffe aus ihrem Griff zu winden. Eine Weile kämpften sie zu dritt im Kreidekreis. Endlich hatte Mion den Dolch. Sie taumelte zurück und versteckte ihn hinter dem Rücken, während Faunia ihre Hände um Jagus Hals schlang. Er schob ihre Arme zurück und lachte.
»Willst du mich umbringen?«, fragte er fröhlich. »Komm, versuch, mich umzubringen. Bring uns beide um. Du vergeudest dein halbes Leben ohnehin im Jenseits, wieso nicht einen Schlussstrich ziehen. Na los, tu es!«
Faunia ohrfeigte ihn wieder, dann fiel sie ihm in die Arme. Jagus Lächeln verblasste; er stieß sie so heftig weg, dass Faunia auf den Boden fiel.
Schluchzend kam sie wieder auf die Beine. Mion wich zurück, weil sie fürchtete, Faunia würde ihr den Dolch entreißen wollen, aber sie nahm nur die Kerze vom Tisch und lief aus dem Zimmer.
»Was... was hat sie vor?«, stammelte Mion.
Jagu schwankte leicht, ohne Antwort zu geben. Sein Blick war noch immer verschwommen.
»Ach, zum Henker mit euch!« Fluchend schleuderte sie den Dolch weg und lief Faunia hinterher. Hätte sie doch bloß mitgespielt, dann müsste sie diese lächerliche Tragödie jetzt nicht bei Verstand erleben.
Kaum dass sie das Atelier betreten hatte, erklang lautes Klirren. Faunia stand bei den Werkbänken und warf Gläser auf den Boden. Fasziniert wie ein Kind beobachtete sie, wie die Scherben durch den Raum sprangen. Dann ließ sie die Kerze fallen.
Für eine Sekunde sah Mion Faunia im aufstrahlenden Feuer, die Augen weit aufgerissen, das Gesicht eine wächserne Maske. Dann blendete sie eine Stichflamme und alles war in gleißendes Licht getaucht. Was auch immer in den Gläsern gewesen war, es brannte lichterloh. Innerhalb von Augenblicken hatte das Feuer sich bei den Werkbänken ausgebreitet und leckte an den Wänden. Faunia taumelte zurück, die Arme voller Gläser; dann schleuderte sie sie in alle Richtungen. Das Feuer folgte ihr durch das Atelier. Schränke flammten auf. Die Luft füllte sich mit dem beißenden Geruch brennenden Papiers.
Mion war wie erstarrt. Erst dachte sie an die Bilder - ganze Stapel von Zeichnungen verglühten in Sekunden. Sie rannte auf Faunia zu, wollte ihr die restlichen Gläser wegreißen, doch Faunia war schneller. Sie zerbarsten auf dem Boden und grellrote Flammen spritzten auf. Mion warf sich zur Seite und riss Faunia mit. Sie hörte, wie Funken in ihren Haaren landeten und knisternd verglühten. Der Rauch biss ihr in die Lungen. Faunia kroch zurück und klammerte sich schwer atmend an einen Stapel Leinwände. Im
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