Rabenmond - Der magische Bund
er sie sich schon lange zurechtgelegt, nun schluckte er. »Ich habe Augen... und Ohren. Eure Tyrannei ist offensichtlich.«
Einer der Sphinxe holte aus und versetzte ihm einen so heftigen Prankenhieb, dass er auf die Knie stürzte. Die Krallen zerrissen sein Hemd.
»Nicht!« Lyrian atmete tief durch. »Dieser Mann erlag seinen Sinnen. Er hat so gehandelt, wie seine Gefühle es ihm vorschrieben. Dafür können wir ihn nicht bestrafen.«
Nun sprang einer der Generäle auf. »Euer Majestät! Verzeiht, dass ich widersprechen muss. Aber ich sehe mich gezwungen... zu widersprechen.« Er biss die Zähne zusammen und bewahrte nur mit Mühe seine Beherrschung. »Dieser Mann ist ein Revolutionär und stellt eine Gefahr für seine Mitmenschen dar. Ihn zu verschonen, hieße, alle anderen Menschen zu bestrafen.«
Lyrian ließ sich nicht beirren. »Sein Unwissen ist eine Gefahr, nicht er selbst. Er ist ein Mensch und hat sich wie ein Mensch verhalten, das ist kein Verbrechen. Ich beschließe, dass er verschont und in die Armee eingezogen wird, damit er sich im Krieg selbst davon überzeugen kann, welche Grausamkeit die Menschenfreiheit bewirkt. Wem die Wahrheit so wichtig ist, der soll sie bekommen.«
Der General presste die Lippen zusammen und nahm wortlos Platz. Die Drachen starrten Lyrian ungläubig an. Er ahnte, dass er zu weit gegangen war... aber das war ihm das Leben des Mannes wert.
Doch als die Sphinxe den Rebellen aus der Halle führen wollten, riss er sich los. Seine Augen waren direkt auf Lyrian gerichtet und durchdrangen ihn mit brennendem Hass. »Heuchler!«, schrie er. »Verdammte Heuchler, verflucht seid ihr alle!«
Die Sphinxe zerrten ihn zurück, doch der Mann strampelte und wehrte sich, ohne seinen glühenden Blick von Lyrian zu wenden. Starr klammerte er sich an die Lehnen des Throns.
»Ihr tötet doch Unschuldige, also tötet mich! Zeigt euer wahres Gesicht! Los, zeigt der Welt euer Gesicht!« Ein Prankenhieb ließ ihn bewusstlos zusammenbrechen. Nur das Klirren der Fesseln war zu hören, als die Sphinxe ihn aus der Halle schleiften. Dann schlossen sich die Türen, lähmende Stille machte sich breit. Noch immer hielt Lyrian sich an den Lehnen fest.
Schließlich erhob sich ein junger Drachengeneral und verneigte sich. »Euer Majestät. Ich bin... verblüfft.«
Lyrian war drauf und dran, ihn zu unterbrechen, als der Drache fortfuhr: »Für die Rebellen ist der Tod nicht die schlimmste und folglich nicht die angemessene Strafe; man muss ihren Willen brechen. Wir müssen sie zum Umdenken zwingen! Ein Meisterstück, Euer Majestät!« Er stieß die Faust auf die Tischplatte, einmal, zweimal. Allmählich stimmten die anderen Drachen mit ein, bis die Halle vor Applaus bebte. Lyrian fühlte, wie Übelkeit in ihm aufstieg. Er hob die Hand, um den Drachen Einhalt zu gebieten, doch sie verkannten die Geste und trommelten noch heftiger. Lyrian stemmte sich aus seinem Thron und lief aus der Halle.
Die Morgendämmerung war die schönste Zeit im herbstlichen Kossum. Alles wirkte so rein, so unschuldig... Die zartesten rosafarbenen Wolken vermählten sich mit dem Himmelsblau und gebaren alle Farben der Welt im ersten Hauch des Tages. Lyrian beobachtete den strahlenden Himmel und das dunkle Land von seinen Gemächern aus und fühlte sich an Dinge erinnert, die unter dem Strom seines Bewusstseins blieben, ungreifbar und doch gegenwärtig. Dann tat er etwas, was gegen alle Regeln der kaiserlichen Sicherheit verstieß: Er ließ sich aus dem Fenster fallen und verwandelte sich in die Schwalbe, flog fort von der Hochburg, fort von Iwyndell, bis nichts unter und nichts über ihm war als Himmel und Land, Licht und Dunkelheit.
Er drehte bei, flog den Wolken entgegen, die die Farbe von Faunias Mund hatten, ihren Wangen, ihren Augen... alles war sie , ihre Schönheit, riesenhaft von der Welt reflektiert und nur für ihn sichtbar.
Er atmete die trockene Herbstluft, ergab sich dem Wind, und für einen Moment spielte er mit dem Gedanken, einfach weiterzufliegen. Für immer... bis er die Häfen Whalentidas und das Meer erreichte. Niemals zurückblickend, sich niemals erinnernd, bis er alles vergaß und nur noch den kühlen Wind in seinem Gefieder und die Weiten des Himmels kannte.
Krieg
A ber das ist natürlich der Grund, warum es überhaupt Regierungen gibt: Krieg oder die Angst davor, genauer gesagt. Daraus formen sich Staaten. Folglich ist die Hauptaufgabe eines Staates der Schutz des Volkes.« Entschieden schlug der
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